Bruno Grünenfelder als Fahrlehrer unterwegs

Vom Metzger zum Fahrlehrer

Bruno Grünenfelders Weg ins berufliche Glück

Die Geschichte von Bruno Grünenfelder

ParaWork unterstützt Querschnittgelähmte bei der beruflichen Eingliederung und verschiebt Grenzen, indem das Angebot laufend erweitert wird. Die aufwändige Suche nach massgeschneiderten Lösungen lohnt sich, wie das Beispiel Bruno Grünenfelder zeigt. Helfen Sie mit.

Text: Peter Birrer
Bilder: Joel Najer

Und jetzt? Wie weiter? Den Satz seines früheren Chefs hat er im Ohr: «Du bist keiner fürs Büro.» Er sagt es nicht aus einer Laune heraus, sondern aus Überzeugung.

Metzger ist Bruno Grünenfelder bis zum Tag, an dem er mit seinem Motorrad Richtung Flumserberg fährt, ganz gemütlich, oder wie er es sagt: «Ich bin raufgegurkt.» Es ist der 21. September 2017, ein Donnerstagnachmittag, in einer Linkskurve liegt ein Kuhfladen und wirkt wie eine Bananenschale: Grünenfelder rutscht mit seinem Fahrzeug weg, unter der Leitplanke durch und schlägt mit dem Rücken auf einem Armierungseisen auf, seine Beine spürt er nicht mehr.

Der heftige Sturz macht aus Grünenfelder einen Paraplegiker, vom Brustbein abwärts ist er fortan gelähmt. Er wird in St. Gallen operiert und mit der Realität konfrontiert. Ein Arzt sagt ihm, dass er so gut wie sicher nie mehr zu Fuss wird gehen können. Grünenfelder, damals 28, findet sich schnell damit ab. Sein Blick, mit dem er unter der Schiebermütze hervorschaut, sagt: «Ich hatte ja keine Wahl.»

Bruno Grünenfelder hatte die Reha im Schweizer Paraplegiker-Zentrum
Fahrlehrer Bruno Grünenfelder war in der Reha im Schweizer Paraplegiker-Zentrum

Grünenfelder zieht nach Nottwil

Ein halbes Jahr verbringt der junge Mann aus dem Sarganserland im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil, bevor er die Rehabilitation in Valens fortsetzt, in einer ihm vertrauten Region. Aber eben, da ist diese Frage, diese Ungewissheit, diese Suche nach einer Perspektive: Was wird nun aus mir? Eine Zukunft als Metzger ist ausgeschlossen.

Darum: Büro? Nein, der Chef hat schon recht. Rehatechniker ist eine Option, Konstrukteur eine andere, ein gewisses Talent wäre vorhanden. Aber der Funke springt nicht, Grünenfelder mag keine der ersten Ideen zu begeistern. Im Januar 2020 kehrt er zurück nach Nottwil, er hat die Hoffnung, dass ParaWork, eine Abteilung des Paraplegiker-Zentrums (SPZ), ihm Perspektiven aufzeigen kann. Er zieht in ein Studio unweit der Abteilung, die Querschnittgelähmte bei der Eingliederung in die Arbeitswelt coacht, begleitet und unterstützt.

Eines Tages sitzt der fast zwei Meter grosse Gemütsmensch einer Berufsberaterin der ParaWork gegenüber, ihre Frage ist: «Bruno, was würdest du am liebsten tun, unabhängig vom Rollstuhl?» Er überlegt kurz, dann erwidert er: «Ich wäre gerne Fahrlehrer.»

«Ich wäre gerne Fahrlehrer.»

Er ist daran, ein Pionier zu werden

Fahrlehrer. Im Moment, als er das sagt, ist das Thema für ihn eigentlich schon wieder erledigt. Aber die Geschichte ist nicht vorbei, sie fängt erst an. Und wie! Abklärungen ergeben, dass sowohl der nötige Umbau eines Fahrzeugs als auch die Ausbildung zum Fahrlehrer möglich sind. Und darum ist Grünenfelder nun daran, ein Pionier zu werden: der erste querschnittgelähmte Fahrlehrer der Schweiz, ja sogar weit über die Landesgrenzen hinaus. Stolz sagt er: «Vermutlich bin ich der erste überhaupt in Europa.» Seine Lehre will er im Herbst 2022 abschliessen und dann loslegen. Als Angestellter oder Selbstständiger.

Grünenfelder ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Abteilung ParaWork es fertigbringt, gemeinsam mit dem Klienten und mit intensiver Arbeit vermeintlich Unmögliches möglich zu machen. Und: Grenzen zu verschieben. Oder um es mit den Worten von Stefan Staubli auszudrücken: «Wir machen manchmal verrückte Sachen.» Staubli ist Leiter der Prozessgruppe Soziale und Berufliche Integration, zu welcher ParaWork gehört. Staubli ist eine der treibenden Kräfte und ein kreativer Kopf. Wird er mit einer ausgefallenen Idee konfrontiert, zuckt er nicht zusammen, sondern setzt alle Hebel in Bewegung, um zumindest die Umsetzbarkeit zu prüfen. 

Bruno Grünenfelder ist der erste querschnittgelähmte Fahrlehrer der Schweiz

ParaWork: hohe Erfolgsquote

Als Stefan Staubli 2012 nach Nottwil kommt, heisst die Abteilung noch Institut für Berufsfindung. Ein Jahr später wird sie in ParaWork umgetauft. Im Zentrum stehen die Patientinnen und Patienten, die jeden Support erhalten sollen, um ein möglichst selbstbestimmtes Arbeitsleben führen zu können. Und jeder Support heisst: ParaWork leistet keine Routinearbeit, sondern geht intensiv auf die individuellen Bedürfnisse ein. Das wirkt sich positiv auf die Nachhaltigkeit aus.

Die Quote der beruflich erfolgreich Integrierten ist auf mehr als 60 Prozent gestiegen – weltweit der höchste Wert. Das erfüllt Staubli mit Genugtuung, aber das immense Engagement und das laufend wachsende Angebot erfordern auch entsprechende Ressourcen. Er sagt: «Wir bewegen uns am Limit. Und manchmal jenseits davon.» 

Vor einem Jahrzehnt noch war die Abteilung von überschaubarer Grösse. Sechs, sieben Angestellte kümmerten sich um den Schulunterricht für die Klientinnen und Klienten, betrieben die Werkstatt und waren in der Berufsberatung tätig. Jahrelang musste das so funktionieren. Bis Staubli die Leitung übernahm, die Strukturen neu ordnete und ein Coachingsystem aufbaute. 

Massgeschneiderte Lösungen

Coaching beinhaltet ganz vieles, zuerst die Auftragsklärung: Was möchte die Klientin oder der Klient? Es folgt das Profiling: Welche Fähigkeiten sind vorhanden? Aufschluss darüber gibt die Berufsorientierte Integration (BOI): Im SPZ stehen 40 Trainingsarbeitsplätze zur Verfügung. «Je gezielter in diesem Bereich abgeklärt wird, desto grösser sind die Chancen, dass sie neue Felder auftun», sagt Staubli, «auf einmal entdeckt man verborgene Talente, die zwingend gefördert werden müssen.» Daraus ergibt sich oft das, was er «massgeschneiderte Lösungen» nennt. Danach geht es darum, eine geeignete Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden. Das wird bei ParaWork längst nicht mehr en passant gemacht. Die Akquise ist eine Teilzeitbeschäftigung für zwei Angestellte.

Auf den Menschen eingehen, ihn eng begleiten, auch dann für ihn da sein, wenn er in der Berufswelt wieder angekommen ist: ParaWork betreibt einen hohen, kostbaren Aufwand. Das Team ist auf 40 Mitarbeitende gewachsen, die gleichzeitig rund zweihundert Querschnittgelähmte betreuen. Allein gelassen wird niemand, erst recht nicht in Zeiten des Wandels. Ein grosses Thema ist die Digitalisierung. «Wir sind so aufgestellt, dass wir diese Herausforderung meistern können», sagt Staubli, «wir können die Menschen darauf vorbereiten, dass sie den neuen Ansprüchen auf dem Arbeitsmarkt gerecht werden.»

Grünenfelder: «Ghaue oder gstoche»

Staubli hat noch ganz viele Ideen, ihm schwebt auch vor, eine «Homebase» zu schaffen auf dem Gelände des SPZ, einen zentralen Ort, an dem zum Beispiel Steckbriefe von Leuten sichtbar sind, die es geschafft haben und eine Inspiration für neue Patientinnen und Patienten sein sollen. Die riesige Nachfrage bei ParaWork geht einher mit dem Bedarf nach mehr Raum. Staubli möchte erfolgreiche Integrationen feiern, in ihm löst jede einzelne Geschichte Emotionen aus. «Wenn jemand scheitert, zerreisst es mich fast», sagt er, «es ist unser Auftrag, zu helfen, dass jede und jeder beruflich das Glück findet.»

Wie Bruno Grünenfelder. «Nichts ist unmöglich!», sagt er voller Begeisterung und erzählt vom Moment, in dem er von der Orthotec das Signal erhielt, dass sich der Umbau zu einem Fahrschulauto realisieren liesse: «Da war für mich klar: Ich will Fahrlehrer werden. Ghaue oder gstoche.»

Bruno Grünenfelder beim Fahrzeugumbau der Orthotec in Nottwil

In sieben Modulen zum Fahrlehrer

Mittlerweile lebt er in Wauwil, unweit von Nebikon im Luzernischen. In Schlieren absolviert er die Ausbildung in sieben Modulen, ist regelmässig am Freitag und Samstag vor Ort, meistens am Mittwoch lernt er in Nottwil und kann auf die Unterstützung von ParaWork-Mitarbeitenden zurückgreifen. «Die Unterstützung ist sensationell», schwärmt er, «nicht zuletzt dank ParaWork geht es mit mir steil aufwärts.»

Vom Metzger zum Fahrlehrer - hört sich unwirklich an für jemanden, der im Rollstuhl sitzt. Grünenfelder sagt: «Es war auch für mich lange unrealistisch. Aber mir sind Wege aufgezeigt worden, jetzt ziehe ich es durch. Den harten Grind dafür habe ich.»

Und jetzt? Wie weiter? Grünenfelder muss sich diese Fragen nicht mehr stellen. Er hat seine berufliche Bestimmung gefunden. Und dient als Vorbild dafür, dass sich vermeintlich zu hohen Hürden überwinden lassen.

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