Peti Roos mit einer seiner Töchter und seiner Mutter am See

Die Familie ist mitbetroffen

Wie gehen Eltern damit um, wenn ihr Kind eine Querschnittlähmung erleidet? Und wie reagieren Kinder, wenn der Vater oder die Mutter verunfallt? Die Familie Roos gibt uns Einblicke.

Text: Stefan Kaiser
Bilder: Adrian Baer

Die Diagnose Querschnittlähmung ist nicht nur für die Betroffenen ein Schicksalsschlag. Auch ihr Umfeld muss sich auf ein neues Leben einstellen. «Der Anruf aus Amerika war ein Schock, wir ahnten sofort: Jetzt kommt Peti in den Rollstuhl», sagen Pia (60) und Arthur Roos (65). «Ab dann haben wir nur noch funktioniert.» An einem Sonntag im März 2009 erfahren die Verkäuferin und der Maurer aus Schötz LU vom Badeunfall ihres Sohns in Florida. Sie möchten so schnell wie möglich zu ihm. Sie telefonieren, organisieren, mobilisieren das Umfeld. Um Mitternacht erfahren sie, dass sie am Morgen einen Flug bekommen, aber sie haben weder eine Kreditkarte noch einen für die USA gültigen Pass. Sie schaffen es trotzdem.

Die Familie hält zusammen

Vor Ort erklärt der behandelnde Arzt, dass kaum mehr Hoffnung besteht, und zeigt ihnen die Spitalkapelle. Pia Roos ist entsetzt: «Ich sagte ihm, dass unsere Familie anders funktioniert. Wir halten zusammen – und der Junior kommt heim.» Von Beginn an steht sie in Kontakt mit der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega und dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ). Zweimal wird die Rückholaktion wieder abgebrochen, weil die Lungen versagen. Nach einem weiteren Noteingriff ist Peti Roos (38) schliesslich transportbereit. «Uns fiel ein Stein vom Herzen, als die Rega kam», sagt die Mutter. Die Zeit in Florida war auch für die Eltern sehr intensiv. Als ihr Sohn auf der Intensivstation des SPZ liegt, kann er nur die Augen bewegen. Der Köpfler in einen Pool hat ihn zum Tetraplegiker gemacht. Er wird künstlich beatmet, kann nicht sprechen. Per Zwinkern diktiert er Buchstaben von einer ABC-Tafel. Sie ergeben: «Ich will nicht mehr leben, stellt die Maschinen ab.» Die Mutter wird energisch: «Vergiss es. Man kann immer etwas machen aus seinem Leben. Ob man zu Fuss geht oder nicht, spielt keine Rolle.» Diese Grundhaltung prägt die Familie; die Eltern haben mehrere Schicksalsschläge erlebt und nie aufgegeben. Ihr Sohn aber schliesst jetzt seine Augen. Egal, wer kommt, er öffnet sie nicht mehr.

 

Pflegefachmann findet Zugang

«Ich wusste nicht, was ein Tetraplegiker noch alles kann», sagt Peti Roos heute. «Ich dachte, ich bleibe so liegen, unbeweglich und ohne Stimme – was will ich da noch?» Der 38-Jährige ist froh, dass seine Eltern hartnäckig geblieben sind. Der SPZ-Pflegefachmann Hans Georg Zimmermann findet schliesslich einen Draht zu ihm. Zunächst gibt er ihm Zeit, dann wird sein Tonfall eindringlicher. «Lass dich nicht gehen», schüttelt er ihn, «du stehst erst am Anfang deines Wegs.» Der Patient spürt die gute Energie. Und aus kleinen Bewegungen, die zurückkommen, fasst er wieder Lebensmut. Die Eltern besuchen ihn weiterhin jeden Tag. In der Mittagspause liest ihm die Mutter aus der Zeitung vor. Sie erkennt seine Not, die endlosen Stunden, zur Untätigkeit gezwungen. «Diese Besuche waren sehr wichtig», sagt Peti Roos. «Ich freute mich darauf: Da kommt jemand und verbringt Zeit mit dir.»

Nach sieben Wochen beginnt die Rehabilitation. Der Tag ist nun dicht gefüllt mit Therapien. Regelmässig kommen seine Freunde zum Jassen vorbei. Sie essen zusammen Pizza im SPZ-Restaurant oder gehen an die Beach Bar – damit rückt das «normale» Leben näher an den Klinikalltag. Peti Roos fühlt sich aufgehoben. Nach neun Monaten kann er nach Hause. Die Mutter muss lernen, nicht herbeizueilen, wenn ihm etwas auf den Boden fällt – auch das Aufheben ist eine Therapie. «Für mich war klar: Ich möchte möglichst viel selber können und niemandem zur Last fallen», sagt Peti Roos. Die Spitex übernimmt die Morgenpflege und das Anziehen. Viele Wochen übt er den Transfer ins Auto, das ihm neue Perspektiven der Selbstständigkeit verspricht. Am Anfang braucht er dafür fast eine Stunde, dann geht es immer besser.

Für die Töchter ist es normal

Seit dem Unfall sind dreizehn Jahre vergangen. Peti Roos hat vier Töchter, um die er sich mit seiner Frau Jeannine kümmert. Für die Kinder ist es kein Thema, dass der Vater im Rollstuhl sitzt. Auch nicht, wenn er sie in der Kita abholt. «Einmal wollte ein Mädchen wissen, wie Papi Auto fahren kann», sagt die fünfjährige Leni. «Sie durfte dann beim Transfer zuschauen.» Das Gespräch mit Leni zeigt: Wo früher viel Aufklärung in der Öffentlichkeit nötig war, wächst heute eine Generation heran, für die vieles normal ist – ob Patchwork Familie oder ein Vater im Rollstuhl. Leni und ihre Schwestern finden es vielmehr cool, wenn ihr Vater mit dem «Töffli» angerollt kommt, dem vor den Rollstuhl gespannten Zuggerät. Dann streiten sie sich, wer bei ihm mitfahren darf. Diese Normalität beruht nicht auf Erziehung. Sie würden nichts spezieller machen als andere Paare, sagt Peti Roos: «Ich erklärte den Kindern einfach früh: Seht, das kann der Papi. Und das kann er nicht.» Sie akzeptieren, dass sie unterwegs bei ihm bleiben müssen, weil er ihnen nicht nachrennen kann. Und sie warten geduldig, wenn das Streichen der Morgenbrötchen viel länger dauert als bei der Mutter. Manchmal ärgert es sie, wenn er mit dem Rollstuhl nicht auf einen sandigen Spielplatz fahren kann, um sie anzuschieben. «Dafür unternehmen wir viele andere Sachen, die Spass machen», sagt er.

«Ich geniesse die Vorteile»

Der ehemalige Maurer arbeitet in einem Teilpensum im Besucherzentrum ParaForum in Nottwil und hat viel Zeit für die Kinderbetreuung. Nur ihre Familienausflüge benötigen mehr Organisation, sagt Jeannine Roos (36), aber sonst erlebe sie keine Einschränkungen durch ihren Partner. Als Ergotherapeutin im SPZ wusste sie, was auf sie zukommt, als sie Peti beim Rollstuhlrugby kennenlernte. «Ich geniesse die Vorteile», sagt sie. Männer mit einem Vollpensum kommen abends heim, wenn die Kinder schon im Bett sind. Sie dagegen können als Familie viel gemeinsam erleben. «Und wenn Peti mir im Haushalt nicht direkt helfen kann, hält er mir den Rücken frei, damit ich schneller vorankomme.» Die Familie kann man nicht austauschen, sie bleibt, sagt Mutter Pia zum Abschied. Dreizehn Jahre nach Petis Unfall kümmern sich bereits drei Generationen umeinander.

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