Die ausgebildete Rettungssanitäterin ist nach ihrem Sturz inkomplette Paraplegikerin

«Lebensrettung geht vor Querschnittlähmung»

Esther Schildknecht ist ausgebildete Rettungssanitäterin und seit ihrem Unfall inkomplette Paraplegikerin.

Unfall mit Rückenverletzung; helfen ja – aber wie?

Ein Sturz von der Leiter, ein Unfall mit dem Motorrad, ein Kopfsprung in seichtes Wasser – Erste Hilfe bei einem Unfall mit Rückenverletzung ist besonders heikel. Was sollen Helfer tun, was nicht? Klar ist: Mit den richtigen Massnahmen, so wie dies bei Esther Schildknecht glücklicherweise der Fall war, kann oftmals Schlimmeres verhindert werden. Doch retten will gelernt sein – deshalb wird dies in den Kursen der Sirmed, dem Schweizer Institut für Rettungsmedizin, geübt.

Text: Robert Bossart
Bilder: Astrid Zimmermann-Boog / Beatrice Felder

 

«Bei meiner Rettung ist alles gut gelaufen»

Esther Schildknecht, als selbst Betroffene und Profi, war bei einem Kurs bei der Sirmed, eine Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung in Nottwil, dabei. Denn Retten, insbesondere bei Rückenmarkverletzung, will gelernt sein. Heute weiss sie, wovon sie spricht. Vor fünf Jahren ist die St. Gallerin beim Klettern selber verunfallt. An einer Felswand übten die J+SLeiter den Flaschenzug.

Kurz vor der Mittagspause seilten sich die Teilnehmer ab – unglücklicherweise kam es zu einer Verwechslung beim Material, so dass Esther Schildknechts Seil zu kurz war. «Ich stürzte aus etwa fünf Metern zu Boden.» Sie erinnert sich, dass sie extrem starke Rückenschmerzen hatte und die Beine nicht mehr bewegen konnte.

Sofort Verdacht auf Rückenverletzung

Ihre Kurskollegen betreuten die Verletzte, bis der Rettungshubschrauber am Unfallort eintraf. «Meine Kollegen hatten sofort den Verdacht, dass es sich um eine Querschnittlähmung handeln könnte», erzählt die 38-Jährige. Da sie bei Bewusstsein war, liessen die Helfer die Verunfallte liegen und vermieden jegliche Bewegung der Wirbelsäule. Esther Schildknecht erinnert sich, wie wichtig auch die mentale Unterstützung war. «Meine Kollegen hielten mich bei Laune und sprachen mir Mut zu. Das ist in solchen Situationen von zentraler Bedeutung.» Verunfallte könnten in Panik geraten und sich dadurch unkontrolliert bewegen, was die Rückenverletzung verschlimmern kann.

Lebensrettung geht immer vor

Die Rettungskräfte flogen Esther Schildknecht ins Inselspital Bern, wo sie operiert wurde. Danach verbrachte sie ein halbes Jahr in der Rehabilitation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Die Verunfallte hatte Glück: Weil ihr Rückenmark nicht vollständig durchtrennt wurde und sie also inkomplett gelähmt ist, gelang es, verschiedene Muskeln zu reaktivieren. Heute kann sie sich mit Gehstöcken fortbewegen.

Vor dem Unfall arbeitete Esther Schildknecht als Rettungssanitäterin, entsprechend hat sie zahlreiche Rettungen selbst miterlebt. Wie beurteilt sie die Hilfe der Laien, welche am Unfallort als sogenannte Ersthelfer in Erscheinung treten? «Manche haben Bedenken, etwas falsch zu machen. Sie wissen zwar, dass ein Mensch bei einer Rückenverletzung möglichst nicht bewegt werden sollte.» Wenn dieser aber aus einer gefährlichen Situation gerettet werden müsse, hätten viele Angst, den Verunfallten noch mehr zu verletzen. «Die Haltung dazu ist aber klar: Lebensrettung geht vor Querschnittlähmung», betont sie.

Ausbildung ist das A und O

Die frühere Rettungssanitäterin, die heute inkomplette Paraplegikerin ist, kennt das Thema Erste Hilfe bei Rückenmarkverletzung aus allen Perspektiven. Ihr ist vor allem eines wichtig: «Möglichst viele Menschen sollten möglichst gut geschult werden. Damit sie in einer Notfallsituation wissen, was zu tun ist.» Es gibt viele Kniffe und Tricks, die im Ernstfall von entscheidender Bedeutung sein können.

Rehabilitation beginnt am Unfallort

An die Gefahr einer Rückenmarkverletzung denke man meist gar nicht, so die Rückmeldung von Kursteilnehmern der Sirmed. Esther Schildknecht ist froh, dass ihre Rettung fehlerfrei verlaufen ist. «Die Rehabilitation von Querschnittgelähmten beginnt am Unfallort.»

 

«Möglichst viele Menschen sollten möglichst gut geschult werden. Damit sie in einer Notfallsituation wissen, was zu tun ist.»

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Traurig, aber wahr: Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt. Eine Querschnittlähmung führt zu hohen Folgekosten, z.B. für den Umbau der Wohnung oder des Autos. Damit Betroffene nicht zusätzlich von Geldsorgen geplagt werden, erhalten Mitglieder bei einer unfallbedingten Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit eine einmalige Zahlung von CHF 250 000.–.

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