Cisi fährt zum ersten mal ein umgebautes Auto

«Mit dem Auto fühle ich mich freier.»

Es ist eine Woche vor dem Corona-Lockdown. Der Bündner Tarcisi Arpagaus geht mit seiner Familie auf die Skipiste – und stürzt. Diagnose: Querschnittlähmung. Fast drei Monate später, durfte Cisi (so nennen ihn alle) zum ersten Mal wieder mit dem Auto fahren; unterstützt von der Firma Orthotec.

Text: Manuela Marra
Bilder: Walter Eggenberger / Belinda Steinmann

Die erste Übungsfahrt – Live auf Facebook

Der gelernte Carosseriespengler freut sich. Zum ersten Mal seit dem Unfall Anfang März darf Cisi wieder mit einem Auto fahren. Und zwar mit einem Übungsauto der Firma Orthotec – eine der Tochtergesellschaften der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, welche die Bewegungsfreiheit von Menschen mit Querschnittlähmung und ähnlichen Einschränkungen fördert, mit Hilfsmitteln und Dienstleistungen wie dem Umbau von Fahrzeugen. 

Cisis Übungsfahrt wurde am Dienstag, 16. Juni 2020, um 17.30 Uhr live via Facebook übertragen.  

Moderation: Viviane Speranda
Video: Tamara Reinhard

 

Der Leiter des Fahrzeugumbaus der Orthotec in Nottwil, Stefan Baumann, führt mit Cisi die sogenannte Motorisierungsabklärung durch. «Hier klären wir in erster Linie ab, ob und wenn nötig mit welchen technischen Anpassungen Cisi wieder selbstständig und sicher Auto fahren kann, ohne sich und andere zu gefährden», sagt Umbauspezialist Baumann. Danach folge jeweils die erste Übungsfahrt. «Ich bin immer wieder fasziniert, dass dank so vielen erfahrenen Mitarbeitenden für praktisch jede Person eine Lösung gefunden wird.» 

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Cisi Arpagaus freut sich auf die erste Übungsfahrt.

Cisi ist es wichtig, dass er trotz Querschnittlähmung wieder mit dem Auto unterwegs sein kann. «Mit dem Auto fühle ich mich freier, als wenn ich mit dem Rollstuhl unterwegs bin», sagt der Bündner. Er ist inkompletter Paraplegiker, das heisst, vom Rumpf aufwärts ist er voll funktionsfähig und kann alles bewegen, und auch in der unteren Körperhälfte spürt er unter anderem noch seine Füsse und Bereiche der Beine. Es besteht also Hoffnung, dass er eines Tages wieder gehen kann. Im Moment ist er aber noch voll auf den Rollstuhl angewiesen. 

 

«Nach nur sechs Minuten war die Rega da.»

Rückblende – der Tag des Unfalls

Es ist Sonntag, 8. März 2020. Rund eine Woche vor dem Corona-Lockdown und ein Prachtstag, wie so viele in diesem Frühjahr. Cisi Arpagaus aus Cazis (GR), seine Frau sowie seine Tochter und deren Partner, packen die Ski ins Auto und fahren ins Skigebiet Sarn-Heinzenberg.

«Es war eine ganz normale Pistenabfahrt», erinnert sich der 61-Jährige. Als er zur Kurve ansetzen will, merkt er, dass es nicht ganz reichen wird, «also fahre ich halt ein wenig über den Pistenrand hinaus», denkt er sich. Und genau hier geschieht es. Cisi kommt über den Pistenrand hinaus und sieht erst dann, dass es dort eine grosse Delle im Boden hat. Der Bündner stürzt hinein und bleibt regungslos liegen. «Meine Tochter hat meine rote Jacke am Pistenrand entdeckt. Als erstes kamen dann ihr Partner und dann noch ein Ehepaar herbei.» Sie wollen den Rettungsschlitten bestellen. Für Cisi keine Option. «Ich habe meine Beine nicht mehr gespürt.» Daher hat der Partner seiner Tochter sogleich die Rega alarmiert. Und die ist innert kürzester Zeit vor Ort. «Nach nur sechs Minuten war die Rega da. Unglaublich», so Cisi.

Nach ein paar Tagen im Spital in Chur, kommt Cisi Mitte März - zu Beginn des Corona-Lockdwons - ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum SPZ nach Nottwil. Er ist froh, Mitglied der Gönnervereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung zu sein. Die Mitgliedschaft habe er erst vor ein paar Jahren abgeschlossen. «Obwohl ich immer gehofft hatte, dass ich damit nur andere unterstütze und nie froh sein muss, selber Unterstützung zu brauchen.»  

 

«Ihr schenkt uns ein Stück Freiheit!»

Über das Lenkrad Gas geben und bremsen

Die meisten querschnittgelähmten Menschen steuern ihr Auto über ein speziell angefertigtes Lenkrad, da sie Beine und Füsse nicht mehr bewegen können. Auch Cisi wird vorerst lernen, das Auto über das Lenkrad zu steuern. Da er aber inkompletter Paraplegiker ist, darf er hoffen, dass er eines Tages vielleicht sogar wieder mit den Füssen Gas geben und bremsen kann. Das wird eine zweite Abklärung in ein paar Wochen zeigen, wenn Cisi dank Ergo- und Physiotherapiestunden sicherlich auch mehr Kraft in den Beinen und Füssen haben wird. Cisi ist dankbar. Betreffend Fahrzeugumbau sagt Cisi zu Stefan Baumann von der Orthotec: «Ihr schenkt uns ein Stück Freiheit!» 

Die Motorisierungsabklärung, mit den Beratungen und der Übungsfahrt, ist Teil des ganzen Rehabilitationsprozesses eines Patienten - und damit nur möglich dank Beiträgen aller Mitglieder der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Den Umbau seines Autos zahlt Cisi selber. Und zwar mit dem dem Geld, das ihm als Mitglied nun ausbezahlt wird.

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Stefan Baumann, Leiter Fahrzeugumbau der Orthotec, baut einen Gasring unter das Lenkrad ein. 

Autoumbau nicht nur für Querschnittgelähmte

Die Firma Orthotec gehört seit bald 26 Jahren zur Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Pro Jahr führt sie im Schnitt 200 Motorisierungsabklärungen durch. «In erster Linie sind es querschnittgelähmte Patientinnen und Patienten aus dem SPZ, für die wir die Abklärungen machen», sagt Stefan Baumann. «Wir bauen aber auch für alle anderen Menschen mit Einschränkungen oder Gebrechen Autos um. Zum Beispiel für kleinwüchsige oder sehr grosse Menschen, für solche mit Geburtsgebrechen oder mit halbseitiger Lähmung.»
 

Ein grosser Wunsch

Cisi wird voraussichtlich im September fertig sein mit der Reha und nach Hause gehen können. Die Wohnung sei zum Glück schon rollstuhlgängig. «Die haben wir vor über einem Jahr gekauft, bewusst rollstuhlgängig, für wenn wir mal älter sind», so Cisi. Nun ist er natürlich froh, dass nicht noch ein Wohnungsumbau ansteht. Trotzdem möchte er zu Hause aber nicht mit dem Rollstuhl umherfahren. Der 61-Jährige hat einen grossen Wunsch: «Ich möchte zumindest in meiner Wohnung wieder alleine laufen können.» Bis er nach Hause kann, stehen noch viele Therapiestunden und Beratungsgespräche an. Auch betreffend Jobsituation wird Carrosseriespengler Cisi beraten. «Ich möchte gerne wieder arbeiten», sagt der Familienvater. 

Doch zuerst schliesst er die Reha ab. Danach würde er am liebsten selber von Nottwil mit dem Auto nach Hause fahren. Dazu wird er noch Fahrstunden bei speziell ausgebildeten Fahrlehrern nehmen. Ist auch das geschafft, hat der sympathische Bündner schon mal ein grosses Stück Freiheit und Selbstständigkeit zurück. Schon jetzt wünschen wir dir Cisi von Herzen eine gute Fahrt in deine Zukunft!

 

Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt. 

 

Eine Querschnittlähmung führt zu hohen Folgekosten, z.B. für den Umbau des Autos oder der Wohnung. Werden Sie deshalb Mitglied bei der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, um im Ernstfall 250 000 Franken zu erhalten.

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