

Mit dem Fortschritt in der Medizin steigt die Komplexität der Behandlungen. Die Folge: In grossen Kliniken werden immer mehr Patientinnen und Patienten beatmet. Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) betreut besonders schwierige Fälle – und hilft Betroffenen, von der Beatmungsmaschine wegzukommen.
Text: Stefan Kaiser und Peter Birrer
Fotos: Sabrina Kohler und Adrian Baer
Es ist eine Situation, die sich niemand wünscht: Ein Mensch wacht auf der Intensivpflegestation (IPS) neben piepsenden Geräten auf. Durch einen Schlauch im Hals strömt Luft in die Lunge. Ein zweiter Schlauch geht durch die Nase bis in den Magen, durch ihn fliesst die Nahrung. Der Mensch möchte fragen, was los ist, aber er bringt keinen Ton über die Lippen – die Stimme ist weg.
Auf einer IPS gehört die vollständige Beatmung über ein geschlossenes System zu den Standardverfahren. Die sichere Luftzufuhr in die Lunge bedeutet für die Patientinnen und Patienten jedoch, dass sie keine Luft zum Sprechen zur Verfügung haben – weil ein Ballon («Cuff») im Hals den Atemstrom über die Stimmbänder blockiert. Sobald die Betroffenen stabil genug sind, beginnt das «Weaning», die schrittweisen Entwöhnung von der Beatmungsmaschine. In diesem aufwändigen und hochkomplexen Prozess zählt das SPZ über die Landesgrenzen hinaus zu den führenden Institutionen. Sind Betten frei, beanspruchen auch Universitätskliniken in schwierigen Fällen das Know-how in Nottwil.
Zwei Betroffene geben Einblick, wie es ist, wenn das eigene Leben von einer Maschine abhängt.

Hans-Peter Urech
An Ostern 2021 war ich zum Skifahren in Arosa und bekam Corona. Das Fieber stieg täglich, nach drei Tagen mit rund 41 Grad musste ich ins Spital Menziken. Als eine Assistenzärztin sah, dass meine Lunge am Kollabieren war, überwies sie mich mitten in der Nacht ans Kantonsspital Aarau. Ich konnte gerade noch meine Frau informieren. «Ich melde mich dann am Morgen», sagte ich ihr am Telefon. Tatsächlich konnte ich erst sieben Wochen später wieder mit ihr reden. Das Koma dauerte sechs Wochen. Dann kam ich zur Mobilisierung auf die Intensivstation in Nottwil, wo man mir ein Sprechventil einsetzte. Das war ein entscheidender Moment: Ab da ging es stetig aufwärts. Ich konnte mich im Bett nicht selbst drehen und musste immer klingeln, wenn ich nur die Lippen befeuchten wollte. Doch die Fachleute im SPZ motivierten mich jeden Tag zu Fortschritten – durch ihr Können und ihre Kommunikation. Dank des Sprechventils konnte ich mich direkt mit ihnen austauschen. Ich habe mich durch die verschiedenen Therapien durchgebissen, weil ich die Chance sah, mein normales Leben zurückzubekommen. Am 14. Juli wurde die Trachealkanüle gezogen. Als ich eine Woche später das SPZ verliess, konnte ich bereits drei, vier Schritte am Stück gehen. Die Rehabilitation erfolgte dann in der Klinik Barmelweid. Dass ich wieder meinen Beruf als Lehrer ausüben und Querflöte spielen kann, darauf bin ich stolz. Und ich empfinde eine grosse Dankbarkeit gegenüber all den wunderbaren Menschen, die mich unterstützt haben – sei es im medizinischen oder im familiären Bereich. Durch ihre Motivation wurde ich schneller gesund.
Was macht in der Beatmungsmedizin in Nottwil den Unterschied gegenüber anderen Kliniken aus? Die Patientinnen und Patienten bekommen früh ein Sprechventil in den Beatmungsschlauch eingesetzt. Es lässt die Luft beim Ausatmen normal durch den Kehlkopf strömen und die Betroffenen können damit unter Beatmung sprechen. Auch Schlucken, Räuspern und Abhusten sind wieder möglich – und damit der Schutz der Lunge vor dem Eindringen von Sekreten. Für das erfolgreiche Weaning bei einer Querschnittlähmung oder bei komplexen Krankheiten ist das Sprechventil entscheidend.
Die Entwöhnungsphasen vom Beatmungsgerät sowohl von querschnitt- als auch nicht querschnittgelähmten Menschen werden mit einem interdisziplinären Team von Fachpersonen aus Intensivmedizin, Pneumologie, Rehabilitationsmedizin, Logopädie, Physio- und Ergotherapie durchgeführt. Die Entwöhnungstherapie erfolgt für beatmete Patientinnen und Patienten sowohl auf der Intensiv- wie auf der Normalstation.

Vito Rizzo
Ich weiss, was Atemnot bedeutet. Und wie es sich anfühlt, wenn man panische Angst hat, ersticken zu müssen. Das wünscht man dem ärgsten Feind nicht. 2012 gab es für mich keinen anderen Ausweg als den Luftröhrenschnitt. Seither hänge ich rund um die Uhr an einem Beatmungsgerät. Mittlerweile habe ich mich an die Maschine gewöhnt, wir gehören irgendwie zusammen. Meine Krankheit, eine seltene Form von Muskeldystrophie, habe ich nie akzeptiert. Aber ich habe keine Wahl: Wenn ich weiterleben will, bin ich auf die Beatmung angewiesen. Ohne meine zwei Assistentinnen könnte ich nicht in meiner Wohnung leben, sondern müsste ins Pflegeheim. Etwa zehnmal täglich müssen die Atemwegssekrete aus der Kanüle abgesaugt werden. Sonst droht der Erstickungstod. Zudem darf der Schlauch nicht für mehrere Minuten herausgezogen werden. Ich habe keine Angst, weil ich weiss, dass ich gut betreut werde und nachts in einer Notsituation Alarm schlagen könnte. Zwei Finger funktionieren noch schwach, um einen Knopf zu drücken. Ich bin dankbar, dass ich noch leben darf und mir das Beatmungsgerät eine zweite Chance gibt. Menschen, die ein Schicksal tragen müssen, möchte ich ermutigen: Packt diese zweite Chance, wenn sie kommt!»
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