Impression mit Sonnenaufgang über dem Sempachersee und Campus Nottwil

Mehr Lebensraum für Tiere

Mehr Lebensraum für Tiere schaffen – das ist eines der Ziele, das mit der neuen Nachhaltigkeitsstrategie auf dem Campus Nottwil umgesetzt wird. Wie das funktioniert, erzählt Remo Bucher, Leiter Gärtnerei am Schweizer Paraplegiker-Zentrum.

Text: Andrea Zimmermann
Fotos: Sabrina Kohler

Ein Biotop mit Seerosen, zwei Bäche, in denen sich Forellen tummeln, Magerwiesen voller Blumen, Weiden für Heidschnucken und zahlreiche Obstbäume und Hecken, die Vögeln, Insekten, Reptilien und Amphibien ein Zuhause bieten – auf dem rund 64'500 Quadratmeter grossen Campus Nottwil ist punkto Biodiversität so einiges zu finden (siehe weiter unten). Dafür zuständig, dass auf den Aussenanlagen des Schweizer Paraplegiker-Zentrums alles grünt und blüht und die besagten Tiere hier optimale Lebensbedingungen vorfinden, ist Remo Bucher mit seinem Team der Gärtnerei. Gemeinsam mit Urs Achermann, Oliver Reinhardt und Markus Gabriel hegt und pflegt er das Gelände, das 1999 erstmals mit dem «Zertifikat für naturnahe Firmenareale» der Stiftung Natur & Wirtschaft ausgezeichnet wurde. Seither wird das Areal regelmässig durch unabhängige Expertinnen und Experten überprüft – letztmals rezertifiziert wurde es 2021.

Die Unterhaltsmitarbeitenden mit dem Club Car vor dem SPZ

Sorgen dafür, dass der Campus Nottwil für Mensch und Tier attraktiv ist: Urs Achermann, Oliver Reinhardt und Remo Bucher (von links nach rechts).

Therapie unter freiem Himmel

«Wir setzen uns aus Überzeugung für eine naturnahe und vielfältige Umgebung ein», sagt Remo Bucher. Denn: Die Umgebung rund um das Paraplegiker-Zentrum ist ein wichtiger Teil des Konzepts der ganzheitlichen Rehabilitation von Menschen mit Querschnittlähmung. «Die Natur ist für die Gesundheit des Menschen unabdingbar», erklärt der 43-jährige Landschaftsgärtner. Daher wird seit eineinhalb Jahren auch ein Teil des Klinikareals für die Gartentherapie eingesetzt – ein Angebot, das die klassischen therapeutischen Massnamen der Spezialklinik ergänzt. Zeit in der Natur zu verbringen, trägt massgeblich zur Steigerung der Lebensqualität bei. In diesem Sinne bietet der Campus Nottwil nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Besuchenden und Mitarbeitenden einen Mehrwert.

«Die Natur ist für die Gesundheit des Menschen unabdingbar.»

Remo Bucher

Mehr Lebensräume für Tiere

Wie viele andere Siedlungsflächen, hat sich auch der Campus Nottwil in den letzten Jahrzenten stark verändert – unter anderem sind mit dem Guido A. Zäch-Institut, dem Besucherzentrum ParaForum und der Kinderkrippe, die im Sommer 2023 eröffnet wird, neue Gebäude entstanden. Ebenfalls wurde das Gelände aus Gründen der Barrierefreiheit mit Wegen aus Hartbelag erschlossen. Doch während der Mensch seinen Bewegungshorizont erweitert, verlieren immer mehr Tiere ihren Lebensraum.

«Um dem entgegenzuwirken, haben wir bereits vor Jahren mit der Umsetzung von Massnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt begonnen », sagt Remo. Um zusätzliche Lebensräume für Tiere zu schaffen, wurden etwa der Eybach und der Hofmattbach renaturiert, ein grosses Insektenhotel errichtet und zahlreiche Nistkästen für Vögel installiert. Zudem achtet das Team der Gärtnerei beim Nachpflanzen stets darauf, einheimische Pflanzen zu verwenden, die zu verschiedenen Zeitpunkten blühen und Insekten somit auch lange als Nahrungsspender dienen. Aber auch bei der täglichen Bewirtschaftung des Areals gibt es viel, was man tun kann. Remo erklärt: «Wir mähen beispielsweise die Magerwiesen in Etappen, sodass Insekten weiterhin Nahrung finden, bis der gemähte Teil nachgewachsen ist.»

Weitere Massnahmen geplant

Mit der neuen Nachhaltigkeitsstrategie der Schweizer Paraplegiker-Gruppe werden nun zahlreiche weitere Massnahmen umgesetzt, die sich am Aktionsplan für Biodiversität des Bundes orientieren. So sollen künftig grössere, mit Hartbelag versehene Flächen auf dem Campus geöffnet und begrünt werden, ohne dass dabei die Mobilität der Patientinnen und Patienten eingeschränkt wird. «Pflanzen spenden nicht nur Schatten, sondern sorgen auch dafür, dass es weniger Überschwemmungen gibt», so Remo. Weiter werden dieses Jahr mit Substraten und Steinen zusätzliche neue Lebensräume für Bodenwildbienen geschaffen werden. «Man vergisst oft, dass 70 bis 75 Prozent der Wildbienenarten im Boden leben», sagt Remo. Aber auch Fledermäuse sollen künftig eine Unterkunft auf dem Campus finden (siehe Bild der Installation des Fledermauskastens weiter unten).

Nicht zuletzt werden bis im Herbst 2023 12 Hochstamm-Obstbäume und 40 weitere Bäume auf dem Campus gepflanzt. Die ökologisch besonders wertvollen Hochstamm-Obstbäume verschwinden leider mehr und mehr aus unserer Kulturlandschaft, da sie kaum rentabel bewirtschaftet werden können. Dabei bieten sie zahlreichen Vogel- und Insektenarten einen Nistplatz – und liefern erst noch frisches Obst für uns. Das zeigt einmal mehr: Von der Natur profitieren letztlich alle.

«70 bis 75 Prozent der Wildbienenarten leben im Boden.»

Remo Bucher

Eine Unterkunft für Fledermäuse

Der Campus Nottwil ist für verschiedene Fledermausarten ein gutes Jagdhabitat – das hat der Fledermausexperte Olivier Fiechter bei mehreren Begehungen im letzten Jahr feststellen können. «Fledermausquartiere auf dem Areal zu montieren, macht daher durchaus Sinn», erklärt der Leiter des Fledermausschutz Smaragdgebiet Oberaargau, das sich über die Kantone Luzern, Bern und Solothurn erstreckt. Fledermäuse zählen mittlerweile zu den bedrohten Tierarten: «Leider verschwinden immer mehr Feuchtgebiete, Hecken und Magerwiesen, aber auch Mauernischen und Estriche werden bei Gebäudesanierungen oftmals verschlossen, womit Fledermäuse ihre alten Quartiere verlieren», so der 64-Jährige.

Hinzu kommt, dass Pestizide viele der Tiere vergiften oder deren Fortpflanzung vermindern. Um den Bestand zu fördern, werden in den folgenden Monaten insgesamt 14 Fledermauskästen auf dem Campus Nottwil angebracht. Diese dienen den nachtaktiven Tieren als Tagesquartier und Nistplatz. Einen schlechten Ruf geniessen Fledermäuse übrigens völlig zu Unrecht: Sie sind in der Regel harmlos und greifen weder Menschen noch Haustiere an. Insbesondere die kleineren Fledermausarten vertilgen Unmengen an Stechmücken – und sorgen so dafür, dass wir an lauen Sommerabenden weniger gestochen werden.

Zwei Mitarbeitende montieren das di neue Unterkunft für die Fledermäuse

Einer der neuen Nistkästen wird an einem Baum festgemacht.

Es kreucht und fleucht

Nistkästen ersetzen natürliche Hohlräume wie Baumhöhlen oder Spalten an Gebäuden, die in modernen Siedlungsräumen nicht mehr vorhanden sind. Um ihre Jungen auszubrüten, sind Vögel daher vermehrt auf Nisthilfen angewiesen. In den letzten Jahren wurden auf dem Campus Nottwil insgesamt 40 solcher Kästen installiert. «Dennoch finden längst nicht alle Vögel einen geeigneten Nistplatz», sagt Silvano Stanga. Der 61-Jährige kennt Vögel, Insekten, Reptilien und Amphibien bestens und berät die Paraplegiker-Gruppe rund um die Massnahmen, die zur Förderung dieser Tiere auf dem Campus umgesetzt werden.

«Es ist sinnvoll, das bestehende Angebot durch spezielle Nistkästen zu erweitern», sagt er. Damit künftig auch Arten wie der Mauersegler und der Gartenrotschwanz ein Zuhause für ihre Jungen finden, werden in den nächsten Wochen zehn weitere Nisthilfen auf dem Campus installiert. Gekauft wurden diese Kästen bei der Vogelwarte Sempach. Zusammengebaut werden sie vor Ort im Schweizer Paraplegiker-Zentrum – und zwar von Klientinnen und Klienten der ParaWork, die im Rahmen ihrer beruflichen Reintegration arbeitsbezogene Tätigkeiten ausüben (siehe Bilder unten).

Nicht nur Vögel, sondern auch andere Tiere wie das Hermelin, verschiedene Wildbienenarten oder die Zauneidechse werden auf dem Campus Nottwil von neuen Kleinstrukturen profitieren, in denen sie einen Unterschlupf finden. Auch der Weiher beim Paraplegiker-Zentrum ist für die Biodiversität auf dem Campus wichtig; zahlreiche Amphibien nutzen ihn, um sich fortzupflanzen. «Im Frühjahr während der Laichsaison sind dort Erdkröten, Bergmolche und Grasfrösche zu beobachten», erklärt Stanga, «und im Frühling machen sich auch Wasserfrösche durch das typische Quaken bemerkbar».

Insekten – eine wichtige Nahrungsquelle für diverse Vogelarten – finden in den artenreichen Blumenwiesen und den Hecken mit heimischen Sträuchern den idealen Lebensraum. Darunter befindet sich auch der Grosse Leuchtkäfer, auch als Glühwürmchen bekannt, der in unserer Region sehr selten anzutreffen ist. «Die weiblichen Tiere sitzen in Bodennähe auf Grashalme und leuchten grün», verrät Silvano Stanga. «Mit etwas Glück sind sie an warmen Abenden im Juni zu sehen.» Das heisst also: Augen auf beim nächsten Spaziergang nach Feierabend.

«Nicht alle Vögel finden einen geeigneten Nistplatz.»

Silvano Stanga
Eine Klientin von ParaWork baut einen Nistkasten zusammen
Die neune Nistkästen der ParaWork
Mitglied werden
Mitglied werden

Werden Sie jetzt Mitglied und erhalten Sie im Ernstfall 250 000 Franken.

Mitglied werden
Spenden
Spenden

Spenden Sie jetzt und unterstützen Sie unsere Projekte zugunsten von Querschnittgelähmten.

Spenden