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Badeunfall: «Es gab einen lauten Knall»

Chantra Flückiger ist seit einem verheerenden Köpfler in den Pool querschnittgelähmt.

Auf der Abschlussreise nach Kroatien passiert der fatale Unfall: Die damals 23-jährige Chantra springt an der falschen Stelle kopfvoran in den Pool. Dabei stösst sie mit dem Kopf am Boden auf. Seither ist Chantra Flückiger querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen.

Text: Jonas Hornung
Bilder: Astrid Zimmermann-Boog

Über sechs Jahre sind vergangen seit der schicksalhaften Nacht. Es ist Sommer 2010. Chantra ist mit ihrer Klasse in Kroatien auf der Diplomreise. Wie die Abende zuvor, springt die damals 23-Jährige in den Pool, kopfvoran. Diesmal leider an der falschen Stelle. «Es gab einen lauten Knall und ich konnte mich nicht mehr bewegen.» Die Schulkollegen fischen die unterdessen ohnmächtig gewordene Chantra aus dem Wasser und alarmieren die Rettungskräfte. Als diese nicht kommen, bringen sie die Kollegen selbst ins nächstgelegene Spital – drei Stunden Fahrt im Mietauto, Chantra auf dem Rücksitz. «Die Ärzte haben einen Schock bekommen, als sie auf den Röntgenbildern feststellten, dass zwei Wirbel kaputt sind.» In einer achtstündigen Fahrt wird sie anschliessend im Krankenwagen nach Zagreb in eine Spezialklinik transportiert. Dort wird sie operiert. Am nächsten Tag fliegt die Rega sie ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil.

 

«Als ich wieder zu mir kam, konnte ich nicht mehr sprechen und wurde weiterhin künstlich beatmet und ernährt.»

Der lange Weg zurück

An den ersten Monat in Nottwil hat Chantra keine Erinnerungen: «Diese Zeitspanne ist aus meinem Bewusstsein gelöscht, da ich im künstlichen Koma lag. Und vielleicht ist das auch besser so.» Denn das Aufwachen sei beschwerlich gewesen, erzählt sie. «Als ich wieder zu mir kam, konnte ich nicht mehr sprechen und wurde weiterhin künstlich beatmet und ernährt.» Deshalb musste sie erstmals ihre Schluckmuskeln wieder trainieren. Es folgen neun Monate hartes Training im Paraplegiker-Zentrum.

Während der langen Rehabilitationsphase muss die gelernte Köchin manchmal auch Rückschläge hinnehmen. Doch mit welcher Zielstrebigkeit und Offenheit Chantra die schwierige Situation angeht, ist beeindruckend. Sich im Zimmer verkriechen und zurückziehen? Kommt nicht infrage. So schreibt sie ein Tagebuch, in dem sie frei von der Leber erzählt: «Meine Tage in der Klinik sind geprägt von hartem Training und einem vollen Stundenplan. Das schlaucht ganz schön. Und so war ich heute Abend zu müde, um noch etwas zu unternehmen. Obwohl ich das Chillen in einer Bar liebe.» Auch das gute Verhältnis zu ihrer Zimmergenossin schätzt die Schweizerin mit thailändischen Wurzeln sehr. Zu zweit sei Vieles einfacher: «Wir motivieren uns gegenseitig, können über alles reden und nehmen gemeinsam jede Hürde.» 

Die positiven Aspekte der neuen Situation

Chantras rechte Körperseite ist gelähmt, die linke kann sie zu 30 Prozent bewegen. «Das Gefühl in meinem Körper ist nur bis zum Schlüsselbein so wie früher – alles darunter ist dumpf, taub und eingeschlafen.» So beschreibt sie ihre Situation während der Reha in Nottwil. Physio-, Ergo-, Reit- Sport- und Wassertherapie helfen ihr sodann, um heute wieder möglichst selbständig leben zu können. 

Die Physiotherapie und Ergotherapie ist ein wichtiger Teil in der Rehabilitation der Querschnittgelähmten.
Tetraplegikerin betrachtet den See in Nottwil

Drei Jahre nach ihrem Unfall steht Chantra wieder mitten im Leben. Sie stellt sich den Fragen eines SRF-Reporters. Im Interview für die Sendung Puls spricht sie über die intimsten Details aus ihrem Sexualleben. Tabuthemen kennt die junge Zürcherin dabei keine: «Gewisse Sachen fühlen sich jetzt sogar besser an als vor dem Unfall». Warum das so ist, kann sie sich nicht erklären. «Weil ich nicht mehr alles fühle, empfinde ich das, was ich spüre vielleicht dafür umso intensiver», mutmasst Chantra mit einem schelmischen Lächeln. «Vielleicht habe ich durch den Unfall auch ein neues Empfinden entdeckt, das ich sonst nie entdeckt hätte…». Auf jeden Fall sei das Zwischenmenschliche für sie viel wichtiger geworden. «Wenn es nicht harmonisch ist, blocke ich sofort ab. Dann geht nichts.» Chantra kann sich auch ein Leben mit eigenen Kindern vorstellen. Jedoch sei klar, dass dafür Vieles stimmen muss. Es brauche viel Mut für einen Fussgänger, sich dafür zu entscheiden, zusammen mit einer Rollstuhlfahrerin Kinder zu haben. «Vieles ist halt einfach komplizierter, wenn jemand im Rollstuhl sitzt. Davor habe ich ja manchmal selber auch Schiss».

 

«Ich habe durch den Unfall neue Gefühle entdeckt»

Erwachsen geworden

Seit rund einem halben Jahr hat Chantra «ein Schatzi». Die beiden unternehmen gerne etwas zusammen. Oder sind auch einfach mal zu Hause, hören Musik und tanzen. Ausserdem ist für die gelernte Köchin das Kochen mittlerweile zum grossen Hobby geworden, dem sie fast täglich nachgeht. Doch es ist nur mit Assistenz möglich. Wobei das irgendwie auch cool sei: «So kann ich meinem Helfer dann immer ein paar Sachen delegieren.»

Zurzeit lebt Chantra alleine in einer Wohnung in der Stadt Zürich, die sie vor einem halben Jahr bezogen hat. Am Morgen unterstützt sie jeweils jemand von der Spitex. Tagsüber hilft ihr manchmal ein Assistent beim Haushalten und Einkaufen. «Es hat etwas Anlaufzeit gebraucht, bis ich mit der neuen Wohnsituation zurechtkam. Aber jetzt läuft‘s langsam aber sicher», lacht Chantra. Doch dann wird sie ernst. «Das letzte Jahr war schon schwer. Mein Papi ist gestorben und mein Mami hat sich entschieden, zurück zu ihren Wurzeln zu gehen und nach Thailand auszuwandern.» Zudem lag sie aufgrund von Entzündungen zweimal auf der Intensivstation und entkam dabei nur knapp dem Tod. Trotz allem meint Chantra rückblickend, sei sie im letzten Jahr «so richtig erwachsen geworden». 

 

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Traurig, aber wahr: Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt. Eine Querschnittlähmung führt zu hohen Folgekosten, z.B. für den Umbau der Wohnung oder des Autos. Damit Betroffene nicht zusätzlich von Geldsorgen geplagt werden, erhalten Mitglieder bei einer unfallbedingten Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit eine einmalige Zahlung von CHF 250 000.–.

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