Wir begleiten querschnittgelähmte Menschen. Ein Leben lang. Schweizer Paraplegiker-Gruppe

Eine Mutmacherin

Ab Oktober ist Nadia Dell'Oro, von allen "Giordi" genannt, als neue Botschafterin der Kampagne "Ich sitze unschuldig" zu sehen. Die temperamentvolle Tessinerin freut sich, mit ihrer Geschichte einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung zum Thema Querschnittlähmung zu leisten.  

Text: Peter Birrer / Andrea Neyerlin
Bilder: Beatrice Felder / Sven Germann / Pascal Lorch

 

Ich möchte den Menschen mit meiner persönlichen Unfallgeschichte ans Herz legen, Mitglied der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung zu werden.

Nadia Dell'Oro

Eine Querschnittlähmung kann alle treffen. Völlig unerwartet und unverschuldet. Darauf macht Giordi als Botschafterin der Kampagne "Ich sitze unschuldig" aufmerksam. Ab Herbst läuft die Kampagne in der Deutschschweiz und im Tessin im TV, online und auf Plakaten. «Ich bin stolz, dass ich Teil dieser bekannten Kampagne bin. Ich möchte den Menschen mit meiner persönlichen Unfallgeschichte ans Herz legen, Mitglied der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung zu werden», erzählt die 53-Jährige. Seit einem Sturz mit dem Motorrad vor 33 Jahren sitzt Giordi im Rollstuhl. «Wenn man solch einen Schicksalsschlag erleidet, braucht man einen Ort wie hier in Nottwil. Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum erhält man die professionelle Vorbereitung für den Alltag nach dem Klinikaufenthalt. Hier hat man Zeit, wieder einen Sinn im Leben zu finden. Und man kann sich mit Gleichgesinnten austauschen, weinen und lachen», sagt sie.  

Sie kennt keine Hindernisse

Giordi ist ein Energiebündel, das keine Hindernisse kennt. Mit ihrer positiven und offenen Art unterstützt sie als Peer Counsellor im SPZ andere Betroffene. Sie hört ihnen zu und macht ihnen Mut, sie beantwortet Fragen und kennt keine Tabus. «Es ist wichtig, alles anzusprechen, wir können über viele Themen auch lachen», sagt sie und nennt als Beispiel die Darm- und Blasenentleerung, die viele Querschnittgelähmte belastet: «Ich musste selbst lernen, das alles in den Griff zu bekommen». 

Mit dieser Offenheit und ihrer sympathischen Art führt Giordi auch Besuchergruppen durch den Campus in Nottwil.

Wenn man solch einen Schicksalsschlag erleidet, braucht man einen Ort wie hier in Nottwil, um wieder einen Sinn im Leben zu finden.

Nadia Dell'Oro

Sprache als Heimat

Nadia Dell'Oro stammt aus Prugiasco, einem Dorf im Bleniotal. Sie wächst mit ihrer Zwillingsschwester Solidea auf, und die Eltern rufen sie bald Giordana, kurz: Giordi, weil in Prugiasco auch andere Kinder Nadia heissen. Giordi ist ein Wirbelwind, neugierig, abenteuerlustig, furchtlos. Am Tag vor dem zwanzigsten Geburtstag setzt sie sich auf den Sozius des Motorrads ihres Freundes. Beim Ausflug in die Deutschschweiz kommen sie zu Fall, Giordi erleidet schwere Verletzungen. Die Diagnose: inkomplette Paraplegie. Sie wird in St. Gallen operiert, dann in Luzern, wo Brüche im Sakralbereich festgestellt werden, im Berner Inselspital folgen weitere Eingriffe. Sie leidet. Bis sie nach drei Jahren vom SPZ erfährt. Mit 23 Jahren kommt sie nach Nottwil und fühlt sich rasch bestens betreut und aufgehoben. 1994 kehrt Giordi ins Tessin zurück, heiratet, und gebärt 2000 eine Tochter – ein Traum geht in Erfüllung. 2011 zieht sie in die Deutschschweiz, nach Geuensee. Weil sie ihre Muttersprachevermisst, fährt sie an vielen Abenden ans SPZ, um mit Patienten aus dem Tessin zu essen und zu plaudern. «Da habe ich mich daheim gefühlt», sagt sie. So entsteht die Idee, zur Ansprechperson für Patienten aus der Südschweiz zu werden.

Sie will ein Beispiel sein

Nadia Dell'Oro plagt oft ein brennender Schmerz. Sie entdeckt, dass er mit Malen gelindert werden kann. Aus dieser Therapieform wird ein Hobby, eine Leidenschaft und schliesslich ein Beruf. Wenn sie ihre Kreativität auslebt, bewege sie sich in einer anderen Welt, sagt sie. Sie lernt bei Fausto Corda, einem Schüler der italienischen Brera Kunstakademie. Heute hat sie ein eigenes Atelier, gibt Kurse und ermutigt Anfänger und Fortgeschrittene, ihre Gefühle künstlerisch auszudrücken. 

Ihren Optimismus hat Nadia Dell'Oro geerbt. «Mein Vater hatte keine einfache Jugend», erzählt sie, «aber er hätte nie geklagt.» Auf einmal kullern Tränen über ihre Wangen. «Er hat mir immer gesagt: Giordi, fahr niemals Motorrad. Ich habe es trotzdem getan – und ihn enttäuscht.» Aber sie hat sich zurückgekämpft. Sie ist eine Persönlichkeit geworden, die ein Beispiel sein will für Menschen mit ähnlichem Handicap und sich mit aller Energie für Menschen mit Behinderungen einsetzt. «Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter», lautet einer ihrer Leitsprüche. Und: «Man sollte zufrieden sein mit dem, was man hat, und nicht bedauern, was man nicht hat.» Diese Haltung verleiht ihr die Kraft, Hindernisse zu überwinden – wörtlich und im übertragenen Sinn. Jetzt funkeln Giordis Augen wieder. Nein, diese Frau lässt sich nicht aufhalten.

Dokumentarfilm mit Giordi

Giordi hat bei einem Dokumentarfilm mitgewirkt, der auf RSI ausgestrahlt wurde. Im Film wird eine junge Frau mit Querschnittlähmung porträtiert, die im Schweizer Paraplegiker-Zentrum ihre Rehabilitation gemacht hat und dabei von Giordi als Peer Counsellor unterstützt wurde. Im Zentrum des Dokumentarfilms geht es um den Wunsch der jungen Frau, auch im Rollstuhl glücklich zu sein. Giordi sei für sie wie ein Schutzengel, der sie auf diesem Weg begleite.
Film "mi devi prendere a calci" angucken (italienisch)

Filmplakat Nadja dell'Oro (Giordi)

Weitere Peer Counsellor und ihre Schwierigkeiten im Alltag

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