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«Ich kann in kurzer Zeit viel Lebensqualität schenken»

Ivan Zavagni ist Hilfsmittelberater bei Active Communication (AC), der jüngsten Tochterorganisation der SPS. Der Techniker mit grosser Affinität zu Menschen mit einer Behinderung bringt Betroffenen ein Stück Lebensqualität.

Ein Tag mit Ivan Zavagni

Ivan Zavagni klingelt bepackt mit zwei kleinen Koffern mit Ersatzmaterial und Werkzeugen beim Mathilde Escher Heim in Zürich. Dort wohnen vorwiegend Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Muskelerkrankungen, Spina bifida, Tetraplegie oder Cerebraler Parese. Ergotherapeutin Ute erwartet den Berater bereits. Er soll sich mit zwei Bewohnern mit sehr eingeschränkten Handfunktionen verschiedene Fragestellungen anschauen. Walter, lernender Mediamatiker im Heim, wünscht sich beispielsweise, seinen PC per Joystick bedienen zu können. «Du kannst dir dann gleich auch noch mein Handy anschauen. Die Bedienung kostet mich zu viel Kraft», informiert er Zavagni zuallererst.

Operation Handy

Es folgt ein Abwägen und Evaluieren dessen, was möglich, technisch machbar und für Walter am besten ist. «Lässt sich lösen», meint Ivan Zavagni und kramt in seinen Koffern. Die «Operation Handy» startet. Der Berater kriecht hinter den Rollstuhl, hantiert mit Kabeln, Knöpfen und Werkzeugen, es tickt und surrt. Es geht zu wie in einem Operationssaal: «Hast du Klettband? », fragt er. Ute reicht es ihm. «Kannst du die Armlehne kurz heben?» Ute hebt sie an. «Hast du ein Handy-Ladekabel?» Auch das bringt Ute. «Walter, schalte den Stuhl kurz aus», instruiert Zavagni, «jetzt kurz hin- und herfahren.» Nach einer halben Stunde hat Walter einen neuen Knopf, kann sein Handy viel leichter bedienen und ist glücklich.

Kampfspuren am Housemate

Nun ist der «Housemate», ein kleines rundes Gerät, das an Walters Rollstuhl befestigt ist, dran. Damit kann er Türen öffnen, Storen bedienen oder TV-Geräte anstellen. «Da hat's Kampfspuren», lacht Zavagni und zeigt auf die Kratzer, während er das Gerät auseinanderschraubt. «Kein Wunder, setzt es sich immer wieder in den Ausgangspunkt zurück, der Schalter da drin ist völlig kaputt», diagnostiziert der Fachmann. Er setzt das Gerät provisorisch wieder zusammen und verspricht, es beim nächsten Mal vollständig zu reparieren. Schliesslich klärt Ivan Zavagni auch die Frage der PC-Bedienung mittels Joystick. Er wird das nötige Material bestellen und es beim nächsten Mal einbauen. Walter rollt zufrieden weg und vergisst glatt, die nächste Kundin vorbeizuschicken. «Kein Problem», meint Zavagni, «das ist das Schöne hier. Da die Kunden hier wohnen, sind wir flexibler bei der Zeiteinteilung als in Kliniken, wo alles durchgetaktet ist.»

«Ich helfe den Kunden ihr Leben so angenehm wie möglich zu gestalten»

Auf Augenhöhe mit seinen Kunden

Ivan Zavagni begegnet den Bewohnern kompetent, kameradschaftlich und auf Augenhöhe. Er versucht, auf alle Wünsche einzugehen, soweit möglich. Vom Schicksal der Jugendlichen kann er sich gut abgrenzen: «Ich komme erst nach der Diagnose in ihr Leben. Helfe ihnen, dieses so angenehm wie möglich zu gestalten. Mich fasziniert, dass ich meinen Kunden in sehr kurzer Zeit sehr viel Lebensqualität schenken kann. Das hilft mir, positiv zu bleiben.» Zavagni arbeitete zuerst als Elektroniker. «Das war aber sehr technisch», erinnert er sich und wechselte zur Stiftung Cerebral. «Irgendwann dachte ich mir, man müsste doch beides kombinieren können, eine Schnittstelle schaffen zwischen Mensch und Technik.» Zusammen mit Fiore Capone gründete er deshalb vor 20 Jahren Active Communication. Dadurch entstand auch der Beruf «Hilfsmittelberater», den es vorher gar nicht gegeben hatte. «Hilfsmittelberater sein bedeutet, sich sehr gut im technischen Bereich auszukennen und eine grosse Affinität zu Menschen mit einer Behinderung zu haben. Optimal wären etwa Ergotherapeuten oder Techniker, die in diesem Bereich arbeiten», erklärt Zavagni. «Neue Mitarbeitende brauchen bis zu einem Jahr, um selbstständig arbeiten zu können. Das ist eine riesige Herausforderung für uns.»

Der Zeit voraus

AC entwickelt und produziert selber keine Produkte, sondern erarbeitet Lösungen mit bestehenden Geräten wie Tablets oder Handys. Damit können Menschen mit Einschränkungen ihre Computer bedienen, mit ihrer Umwelt kommunizieren oder Türen und Fenster schliessen. «Sobald Apple oder Microsoft neue Produkte ankündigen, sitzen wir Berater an unseren Handys und tauschen uns aus, manchmal spätnachts noch», schwärmt Zavagni. «So entstehen oft neue Möglichkeiten, andere für uns wichtige Funktionen fallen weg. Dann müssen wir vorab versuchen, dafür neue Lösungen zu finden. Glücklicherweise haben wir meist einige Monate Zeit, bis die Neuerungen auf den Markt kommen. Wir müssen dennoch der Zeit permanent voraus sein.»

531 abgeschlossene Versorgungen im Jahr 2018

Hausbesuch

Mit Martin, einem Kunden, der an ALS (Amyotropher Lateralsklerose) erkrankt ist, unterhält sich Ivan Zavagni ganz unverkrampft und locker. Er versteht seine Laute. Denn sonst spricht Martin mit Fremden via seinen PC, den er mit den Augen steuert und den er Sätze vorlesen lassen kann. Zavagni bewundert Martins Facebook-Profilfoto und die Sammlung japanischer Schwerter. «Was, alles über Ricardo ersteigert?», fragt er erstaunt. «Ist halt schwierig, wenn man alles, was man anschaut, auch gleich kauft. Kaufrausch mit den Augen sozusagen », lacht Martin gut gelaunt. Dieser vierte und letzte Besuch des Beraters dient dazu, abschliessende Feineinstellungen an Martins Sprachcomputer zu machen und sicherzustellen, dass alles reibungsfrei funktioniert. So weit scheint alles in Ordnung. Vorort schreibt Zavagni den Abschlussbericht für die IV und bestätigt, was der Kunde dank dem Hilfsmittel alles machen kann und ob das Projekt wie geplant durchgeführt wurde. «Also, Martin, ab jetzt kontaktierst du uns, wenn du etwas brauchst, ok? Da unten ist der Knopf für unseren Online-Service.» Dann liest er Martin noch den IV-Bericht vor und lässt ihn von Martins Mutter unterschreiben. «Berichte schreiben ist ein grosser Teil meiner Arbeit, und Autofahren auch», meint Zavagni. «Auf Anfrage der IV klären wir auch ab, welche technischen Hilfsmittel eingesetzt werden können, um den Betroffenen den Alltag zu erleichtern.» Er ist oft sehr lange unterwegs, kommt locker auf 35 000 Fahrkilometer im Jahr. «Letzte Woche fuhr ich sieben Stunden nach Samnaun und retour, für anderthalb Stunden Beratung», erzählt er. Doch Ivan Zavagni nimmt dies für seine Kunden gerne auf sich. Diese können schliesslich nicht einfach bei ihm vorbeikommen, erhalten aber durch ihn so ein Stück Lebensqualität.

Text: Gabi Bucher

Fotos: Gabi Bucher, Beatrice Felder

Beitrag erschienen: à jour, August 2019

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