Antonio mit seiner Tochter

Solidarität beginnt zu Hause

Eine Querschnittlähmung betrifft nicht nur die verletzte Person, sondern auch die Familie und die Partnerschaft. Zwei Paare erzählen, wie sie beides unter einen Hut bringen – den Partner zu pflegen und gleichzeitig eine gute Beziehung zu haben.

Text: Stefan Kaiser
Fotos: D. Plüss

Angehörige von Menschen mit körperlichen Einschränkungen übernehmen oft einen Grossteil der anfallenden Unterstützungs- und Pflegeaufgaben. Es ist eine Arbeit, die in der öffentlichen Wahrnehmung kaum Beachtung findet. Im Fokus der Politik steht die pflegebedürftige Person, nicht der Aufwand, der von den vielen helfenden Händen geleistet wird, die unser Gesundheitssystem entlasten. Auf rund 3,5 Milliarden Franken pro Jahr schätzen Experten des Bundes den Wert dieser «informellen» Pflege in der Schweiz. Zur Mehrheit wird sie von Frauen erbracht.

Organisation ist alles

Rahel Ufenast wusste, worauf sie sich einliess, als sie den sympathischen Tetraplegiker Antonio kennenlernte. Rahel arbeitet bei der Spitex. «In meinem Umfeld gab es damals auch unschöne Reaktionen», erinnert sie sich. «Einige sagten: Hast du dir das gut überlegt? Was willst du mit einem Mann im Rollstuhl schon anfangen?» Doch ihr war egal, was die anderen dachten. Sie hatte sich verliebt. Seit 2014 ist das Liebespaar nun verheiratet. Im März 2016 kam Tochter Zoé auf die Welt, im November 2019 die kleine Mia.

Die Familie aus Allschwil BL hat den Betreuungsaufwand gut organisiert. Die Morgenpflege, die rund zweieinhalb Stunden benötigt, und den Transfer in den Rollstuhl übernimmt die Spitex. Nachts um halb zwei Uhr, wenn Rahel von der Spätschicht nach Hause kommt, transferiert sie ihren Mann ins Bett. Die Stunden dazwischen verbringt Antonio Ufenast im Rollstuhl – angebunden, damit er nicht herausfallen kann.

«Wenn Rahel ausser Haus ist, passe ich auf die Kinder auf», sagt Antonio. «Das wäre unmöglich, wenn ich abends, wenn sie zur Arbeit geht, schon im Bett liegen würde.» Seine beiden Funktionshände erlauben dem Tetraplegiker zwar eine gewisse Selbstständigkeit, aber sich in den Rollstuhl transferieren kann er damit nicht.

Dass Rahel Ufenast ihren Mann selber ins Bett bringt, hat den weiteren Vorteil, dass die beiden im Ausgang nicht ständig auf die Uhr schauen müssen. «Für die Spitex müssten wir um 22 Uhr zu Hause sein», sagt die junge Frau. «Vor allem im Sommer ist das hart, es raubt jede Spontaneität.» Sie ist lebensfroh und lacht gerne. Aber sie braucht auch viel Kraft, um alle Aufgaben zu bewältigen; Arbeit, Kinder, Haushalt, Ehemann. «Ehrlich gesagt, das ist nicht immer einfach.» Manchmal komme alles zusammen. «Und wenn die Kinder im Bett sind und ich einmal bequem auf dem Sofa sitze, braucht garantiert mein Mann wieder etwas …»

  • Pflegende Angehörige

    72 % sind Frauen
    84 % leben im gleichen Haushalt

    Quelle: Schweizer Paraplegiker-Forschung (SPF)

Antonio Ufenast würde seine Frau gerne mehr im Haushalt unterstützen. Er kümmert sich um die grössere Tochter, um alles Technische, hilft beim Kochen. «Ich übernehme, was ich kann, aber ohne Fingerfunktion ist mir vieles unmöglich», sagt der ehemalige Heizungsmonteur. Im Jahr 2003 verunfallte er unschuldig mit dem Motorrad, seine Rehabilitation in Nottwil dauerte neun Monate.

Wenn immer möglich, trennen die Ufenasts die verschiedenen Rollen: «Ich bin seine Frau, nicht seine Pflege», sagt Rahel. In Notfällen springe sie ein, aber nicht dauerhaft, sonst würde die Psyche und ihre Beziehung darunter leiden. Als Spitexangestellte weiss sie, dass wer pflegerisch tätig ist, auch Zeit braucht, um etwas für sich zu tun – Spazierengehen, Sport treiben, Leute treffen. Allerdings zeigen Forschungsdaten aus Nottwil, dass gerade dieser wichtige Bereich des Ausgleichs bei vielen zu kurz kommt.

Antonio Ufenast mit Familie

Hohe Zufriedenheit

Entlastung bringt zum Beispiel ein gutes Beziehungsnetz. Familie, Freunde und soziale Unterstützung bilden einen Puffer vor der chronischen Überlastung. Für die Forschenden in Nottwil ist es ein ermutigendes Resultat der Studien, dass trotz eines Betreuungsaufwands von durchschnittlich 21 Stunden pro Woche bei den meisten Angehörigen eine hohe Zufriedenheit mit ihrer Situation besteht. 93 Prozent bezeichnen ihre Aufgabe als sinnstiftend, sie bekommen viel Wertschätzung zurück und können sich mit ihrer Rolle als unterstützende Person gut arrangieren.

Gleichzeitig belegen die Studien auch Mängel im Gesundheitssystem und eine zum Teil sehr hohe finanzielle Belastung. Ein Viertel der Befragten würde gerne mehr Leistungen von der Spitex in Anspruch nehmen. Doch der Selbstbehalt bei den Kosten schreckt viele ab. Die Studiendaten zeigen, dass Familien, in denen Angehörige pflegerisch betreut werden, zusätzlich zur Pflegearbeit oft auch finanzielle Sorgen haben. Als Lösung schlagen die Forschenden eine direkte Entschädigung vor, mit der Entlastungsmassnahmen finanziert werden können. Dies wäre durch die Ausweitung des Assistenzbeitrags der Invalidenversicherung auf Angehörige zu erreichen. Auch eine Vereinheitlichung im Versicherungswesen wäre hilfreich – wenn Unfall und Krankheit als Ursache einer Querschnittlähmung gleichwertig behandelt werden.

«Die Qualität einer Beziehung hat wesentlichen Einfluss auf das Stressempfinden.»

Dr. Christine Fekete, Schweizer Paraplegiker-Forschung

Hilfe im Familienkreis

Für die Ufenasts in Allschwil ist die Unterstützung im Familienkreis ein wichtiger Aspekt ihrer Organisation. Nach der Rückkehr aus der Rehabilitation trennte sich Antonio von seiner damaligen Partnerin. Daraufhin verzichtete seine Mutter auf die bereits geplante Rückkehr nach Spanien und zog in seine Nähe, um ihren Sohn täglich zu betreuen. Ohne diese Hilfe wäre das Leben in einer eigenen Wohnung damals unmöglich gewesen. Heute, bei der Betreuung der sieben Monate alten Mia, unterstützt Rahels Mutter das Paar. Nur so kann ihre Tochter nach dem Mutterschaftsurlaub am Abend wieder unbesorgt zur Arbeit ausser Haus gehen.

Die Familie bemüht sich um eine gute Balance zwischen Geben und Nehmen. Einzig in den Ferien kommt die junge Mutter an den Anschlag, weil sie die ganze Pflege allein erledigt. «Für mich sind das keine Ferien», sagt sie. «Ich übernehme die Aufgabe aber gerne, damit wir als Familie etwas gemeinsam unternehmen können.» Sie möchte nicht daran denken, was sein wird, wenn sie einmal weniger Arbeit bewältigen kann.

Antonio Ufenast mit Tochter am Tisch
Antonio Ufenast am Kochen

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