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«Eine Krankheit, die sprachlos macht»

Rita Tresch, wie die ALS-Krankheit ihr womöglich schon bald die Stimme raubt.

Die Urnerin Rita Tresch (57) leidet an einer seltenen Nervenkrankheit, die ihr womöglich schon bald die Stimme raubt. Aufgeben kommt aber nicht in Frage, auch weil sie dank Sprachcomputer weiter mitreden kann – neu sogar auf Schweizerdeutsch.

Text: Raphael Zemp
Fotos: Boris Bürgisser
Beitrag erschienen: Zentralschweiz am Sonntag, 20. Januar 2019
Besten Dank für das freundliche Einverständnis, diesen Beitrag über die langjährigen AC-Kundin Rita Tresch auf unserer Website veröffentlichen zu dürfen!

«Min Nama isch Rita. I bin sibenefufzig Johr alt», spricht eine Frauenstimme aus den PC-Lautsprechern.

Komisch, wie es klingt, wenn eine Maschine die eigenen Gedanken ausspricht. Und dann erst noch auf Bündnerdeutsch! Dabei bin ich, Rita Tresch, in Attinghausen geboren und aufgewachsen, eine Urnerin durch und durch. Und doch mag ich Selina – so heisst meine neuste elektronische Stimme, entwickelt vom Zürcher Unternehmens Slowsoft. Selina ist warm, sympathisch und weniger distanziert als die bisherige Hochdeutsche Computerstimme. Sie ist näher an meiner. Das sagen auch meine Angehörigen.

Zudem schreiben ich und Selina Geschichte. Ich bin die erste, deren Gedanken Selina in Schweizerdeutsche Laute überträgt – überhaupt! Denn Reden ist etwas, was mir immer schwerer fällt. Ich habe nicht mehr so viel Pfuus in den Lungen. Meine Krankheit ist unerbittlich. Langsam und unwiederbringlich raubt sie das, was mir am liebsten ist: meine eigene Sprache. Doch alles der Reihe nach.

«Vor siebzehn Johr hani d Diagnose Amyothrophe Lateralsklerose, ALS, becko»

Jener Moment, der mein Leben radikal verändern sollte, trat kurz nach der Jahrtausendwende ein. Ich stand mitten im Leben, war glücklich verheiratet, hatte einen Sohn und leitete eine Abteilung in einem Warenhaus. Ich fühlte mich zufrieden und voller Energie. Wären da nur nicht diese Schwächeanfälle in der linken Hand gewesen; plötzlich konnte ich Gegenstände nicht mehr richtig fassen, am Herd etwa die Pfanne nicht heben. Weil sich die Situation nicht besserte, suchte ich bald darauf einen Arzt auf, der mich ziemlich ratlos an weitere Experten verwies.

Es folgten Röntgenaufnahmen, ein Gang in die «Röhre», Messnadeln in meinem Schädel – und schliesslich die Gewissheit: Ich bin an ALS erkrankt: Eine seltene und unheilbare Krankheit, die in den meisten Fällen nach spätestens fünf Jahren mit dem Tod endet, manchmal ist auch schon nach wenigen Monaten Schluss. Für mich brach auf der Stelle eine Welt zusammen. Ich werde sterben, womöglich schon sehr bald! Wie kann ich das nur meinem Mann beibringen? Werde ich noch erleben wie mein Sohn heiratet? Tausend Fragen und vorerst keine Antworten.

«I ha en eher langsama Krankhaitsverlauf»

Nach einiger Zeit akzeptierte ich dann die Krankheit, stellte mich ihr. Geholfen hat mir dabei auch der Austausch mit anderen ALS-Betroffenen. Etwas, was ich bis heute beibehalten habe. Auch wenn es bedeutet, immer wieder Abschied zu nehmen von lieb gewonnenen Menschen. Denn bei mir verläuft die Krankheit viel langsamer als bei den meisten. Aufhalten lässt sie sich trotzdem nicht. Und so muss auch ich immer wieder verzichten; auf das Ski- und Töfffahren etwa, aufs Schwimmen im Vierwaldstättersee. Inzwischen kann ich kaum meine Arme und Hände bewegen, geschweige denn gehen. Die Computermaus muss ich mit beiden Händen bedienen. Und trotzdem hange ich sehr am Leben.

«Im Alltag bini uf Hilf agwisa»

Mir ist jedes Hilfsmittel recht, dass jene Gräben ein wenig auffüllt, die meine Krankheit unablässig aufreisst. Sei das ein elektrischer Rollstuhl – oder eben meine neuste Errungenschaft: Selina. Meine neugewonnene Bündner Stimme kenne ich zwar noch nicht so gut. Und ich muss gestehen: Das Füttern des Sprachcomputers mit Mausklicken und Buchstaben ist umständlich, sodass ich noch immer lieber für meinen Internetblog www.ritatresch.ch schreibe als für Selina. Und doch glaube ich: Selina und ich werden ein gutes Team. Wir müssen. Denn es kommt der Tag, da werde ich nicht einmal die Kraft haben, die Maus zu steuern. Dann werde ich den Computerbildschirm mit blossen Augen streicheln müssen, um ihm Selinas Stimme zu entlocken – und mir so Gehör verschaffen.

Denn zu sagen habe ich noch viel und zum Sterben keine Zeit. Mein Engagement gilt dabei nicht primär mir, sondern allen Menschen mit Beeinträchtigungen, insbesondere ALS-Betroffenen. Sie sind meine zweite Familie, sie will ich mit meinem ganzen Herzblut unterstützten. Mein grösster Traum? Ein Ort, speziell für uns ALS-Erkrankte, um zwischenzeitlich zu verschnaufen– aber auch, um dort die letzten Wochen, Tage und Stunden zuzubringen. Als Urnerin weiss ich, dass Grosse Dinge entstehen können. Vielleicht findet sich ja auch für meinen Traum ein Sawiris?

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