

Sandra Sucic hat nach bestandenem KV mit Berufsmatura klare Pläne für ihr Auszeitjahr: Ein Sprachaufenthalt in San Francisco, danach Ferien auf Hawaii als krönender Abschluss. Die erste Surfstunde endet für die junge Urnerin mit einer Rückenmarkverletzung. Unterstützt von ParaSchool findet sie ihren Weg zum Studium.
Text / Bilder: Brigitte Hächler
Was gäbe es für einen besseren Ort um surfen zu lernen, als Hawaii? Sandra Sucic absolviert gerade ihre erste Surfstunde bäuchlings auf dem Brett, als es passiert: eine unerwartet grosse Welle schlägt ihr entgegen und überstreckt ihren Rücken so sehr, dass ihr Rückenmark für einen kurzen Moment nicht mehr durchblutet ist. «Surfers Myelopathie» lautet der Fachbegriff für diese Art von Rückenverletzung, die vor allem beim Surfen passiert.
Das Gefühl ist anfangs noch da
Als man sie aus dem Wasser zieht, spürt die Urnerin anfänglich ihre Beine noch. «Es hat in meiner unteren Körperhälfte gekribbelt und sich angefühlt, als ob die Beine eingeschlafen wären», erinnert sie sich. «Ich dachte, komisch, was ist das?» Im Spital in Honolulu diagnostizieren die Ärzte nach der Untersuchung im MRT: komplette Paraplegie, auf der Höhe des 9. Brustwirbels (TH9). Erst die Untersuchung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) wird die finale Diagnose einer inkompletten Paraplegie auf der Höhe des 10. Brustwirbels ergeben. «In Honolulu hatte ich so starke Schmerzen, dass ich nicht ruhig bleiben konnte. Deshalb war es schwer, eine genaue Diagnose zu stellen», erinnert sich Sandra Sucic.
Allein unter Fremden
Zwei Wochen liegt die Urnerin im Spital in Honolulu. Alleine, da es anfangs nicht klar war, wie lange sie dortbleiben musste. «Ich rief meine ehemalige Gastfamilie in San Francisco an. Diese kontaktierte das Schweizer Konsulat. Dort organisierten sie alles Weitere, auch den Transport ins SPZ.» Sandra Sucic fühlte sich gut aufgehoben. «Vier vom Konsulat beauftragte, dort wohnhafte Schweizerinnen besuchten mich täglich.» Sie sieht den Spitalaufenthalt allein auf Hawaii als eine Art Schutzkokon, in dem sie für sich mit der neuen Situation umzugehen lernt. «Irgendwie war ich auch ganz froh, dass mein Unfall nicht in der Schweiz passiert ist. Alles hätte sich schnell herumgesprochen und meine Freunde hätten mich sofort besuchen wollen. Dieser Situation wäre ich vermutlich nicht gewachsen gewesen. Ich stand unter starken Schmerzmitteln und habe alles gar nicht richtig realisiert.»
«Es war irgendwie surreal, als ich zum ersten Mal im Rollstuhl sass»
Zurück in der Realität
In der Reha im SPZ zerbricht der Schutzkokon aus Hawaii und Sandra Sucic wird mit einer anderen Realität konfrontiert. «Ich hatte mir gar keine Gedanken darüber gemacht, dass meine Blase nicht mehr funktioniert und ich lernen muss, mit einem Katheter die Blasenfunktion zu managen. Es war irgendwie surreal, als ich zum ersten Mal im Rollstuhl sass.» Es sind viele Themen, die auf die junge Urnerin zukommen und sie manchmal auch überfordern: Schmerzen, Spasmen, die ihre Beine unkontrolliert zittern lassen, die unklare Studienwahl oder Nebenwirkungen von Schmerzmitteln.
Alles auf Anfang
Dazu kommt: Sandra Sucic ist mit Albinismus und einer starken Sehschwäche geboren, was ihren Alltag schon von Geburt an erschwert. Trotzdem besucht sie die reguläre Schule. Mitte 2017 schliesst sie die Ausbildung zur Kauffrau samt Berufsmatura erfolgreich ab.
Ihre Verletzung bedeutet für die junge Urnerin eine neue Herausforderung, die sie in ihrem Leben zusätzlich einschränkt. «Die neue Situation war psychisch sehr belastend. Im SPZ ist man jedoch gut aufgehoben. Auch Gespräche mit anderen Patienten gaben mir Halt», erinnert sie sich. «Schliesslich kam ich an einen Punkt, an dem ich dachte: Ich muss jetzt einfach den Reset-Button drücken. Mit meiner neuen Situation zu leben lernen, wie ich auch mit meiner Sehschwäche zu leben gelernt habe. Die Gewissheit, dass ich so etwas schon mal geschafft habe, gibt mir Kraft, nach vorne zu blicken», meint sie stolz.

Nach dem Unfall hatte Sandra Sucic Angst, dass sie mit angeborener Sehschwäche und im Rollstuhl ein Vollzeitstudium nicht schafft oder sich nicht auf den Lernstoff oder PC-Arbeit konzentrieren kann. Mit ParaSchool der Patientenschule von ParaWork fand sie schliesslich die passende Lösung.
Begleitet ins Berufsleben
Im SPZ ist die berufliche Integration ein wichtiger Aspekt der ganzheitlichen Rehabilitation. Dafür besteht mit ParaWork eine speziell auf die Berufsfindung sowie die Berufs- und Laufbahnberatung ausgerichtete Abteilung. Darauf basierend können die Klienten schon während der Rehabilitation an für sie individuell zusammengestellten Programmen teilnehmen. Beispielsweise an einem berufsspezifischen Arbeitstraining, das auf die berufliche Ausbildung oder die Rückkehr in den Berufsalltag abzielt. Fachpersonen von ParaWork betreuen Klienten und Arbeitgeber nach ihrem Austritt weiter. Ebenso besteht mit ParaSchool die Möglichkeit, während des stationären Aufenthaltes weiterhin dem Schulunterricht zu folgen. Beziehungsweise danach, im ambulanten Setting, eine passende Schule, Ausbildung Lehre oder Studium in Angriff nehmen zu können.
Herausforderung Studium
Sandra Sucic ist froh, dass sich ihre beruflichen Ziele nicht komplett änderten: «Ich wollte schon immer studieren», erklärt sie. «Allerdings konnte ich mich nicht genau zwischen den verschiedenen Studienangeboten der Hochschulen entscheiden. Nach dem Unfall hatte ich Angst, dass ich mit angeborener Sehschwäche und im Rollstuhl ein Vollzeitstudium nicht schaffe oder mich nicht auf den Lernstoff oder PC-Arbeit konzentrieren kann.» Sandra Sucic steht vor der Herausforderung einen Studienplatz zu suchen, sich für eine Studienrichtung zu entscheiden und den fachlichen Anschluss ans Studium zu bewältigen. Bedingt durch das Auszeitjahr und die Reha sind nach der Berufsmatura eineinhalb Jahre vergangen. Mit ParaSchool der Patientenschule von ParaWork findet sie die passende Lösung.