Silvia Schibli, Chefärztin Handchirurgie, und ihr Vorgänger Jan Fridén gehen nebeneinander einen Gang im Schweizer Paraplegiker-Zentrum entlang.

«Es sind höchst verletzbare Personen – für sie geben wir alles»

Er schätzt ihre Präzision und Sorgfalt, sie seine Grosszügigkeit als Mentor. Jan Fridén und Silvia Schibli haben über viele Jahre die Entwicklung der Tetrahandchirurgie in Nottwil geprägt und vorangetrieben.

Text: Christine Zwygart
Bilder: Adrian Baer

Wie war Ihre erste Begegnung?

Silvia Schibli (S): Wir begegneten uns 2011 an einem Fachkurs. Ich wusste natürlich, wer Jan ist, und habe ihn gefragt, ob ich ihm einmal über die Schultern schauen darf. Er sagte tatsächlich ja, und ich begleitete ihn eine Woche lang bei der Arbeit.

Jan Fridén (F): Mir fielen Silvias hervorragende Fähigkeiten sofort auf. Im Kurs überzeugte sie mit ihrem vertieften Basiswissen. Sie war technisch gut, ging sorgfältig vor und schaute genau hin – Silvia war brillant und stach aus allen heraus.

S: Damals arbeitete ich in der Handchirurgie des Kantonsspitals Graubünden. 2016 startete ich zusätzlich in Nottwil. So wurden Jan und ich ein eingespieltes Team.

Wie kamen Sie auf das hochspezialisierte Fachgebiet der Tetrahandchirurgie?

F: Das liegt in meiner Faszination für Hände. Die Geschichte der Tetrahandchirurgie begann an der Universitätsklinik von Göteborg, wo Erik Moberg Anfang der 1970er-Jahren Pionierarbeit leistete. Als ich über zwanzig Jahre später dort arbeitete, war Moberg bereits verstorben, doch er hinterliess eine solide Basis, auf der wir aufbauen konnten. Ab 1998 habe ich seine Arbeit als Professor für Handchirurgie übernommen und weitergeführt. Es war also Zufall im Spiel und viel Glück. Dank Kollege Simeon Grossmann, der sich am Schweizer Paraplegiker-Zentrum mit der Tetrahandchirurgie beschäftigte, kam ich schliesslich nach Nottwil.

S: Mich faszinierte die sogenannte Sehnentransferchirurgie schon immer und ich suchte einen Ort, wo ich mir Wissen und Erfahrung zu diesem Gebiet aneignen konnte. So stiess ich auf Jan.

«Die Operations- und Behandlungstechniken sind in den letzten dreissig Jahren um ein Vielfaches besser geworden.»

Jan Fridén

Wie war Ihre erste Tetrahand-Operation?

F: Im Rückblick war es eine eher triviale Operation. Wir wussten damals nicht viel über die Rehabilitation und das ganze Drumherum. Die Operations- und Behandlungstechniken sind in den letzten dreissig Jahren um ein Vielfaches besser geworden. Schritt für Schritt haben wir Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation weiterentwickelt. Wir verfügen heute über ein grosses Wissen und viel mehr Erfahrung.

S: Wir brauchen teilweise noch die gleichen Techniken. Doch mit vielen Modifikationen und Anpassungen, die durch unsere Diskussionen und unser Schaffen entstanden sind. Der grösste Unterschied besteht sicher darin, dass wir die Betroffenen fragen, was sie erreichen möchten.

F: Früher ging es einzig darum, eine gewisse Funktionalität von Fingern und Händen wiederherzustellen. Heute klären wir intensiv ab, welche Fähigkeiten die Person zurückerlangen möchte: Ein Buch aus dem Regal nehmen, eine Flasche öffnen, das Smartphone bedienen – all diese Tätigkeiten haben einen direkten Einfluss auf den Alltag und geben ein Stück Selbstständigkeit zurück. Gemeinsam mit den Betroffenen gehen wir die Wünsche durch, priorisieren sie, wägen ab. Denn mit der Operation können wir im Idealfall die Basis für vier bis fünf Fähigkeiten legen.

S: Was neu dazugekommen ist, sind Nerventransfers. Bei diesem Eingriff nehmen wir einen intakten Nerv, der oberhalb der Verletzung das Rückenmark verlässt. Diesen Nerv transferieren wir dann auf einen, der nicht mehr funktioniert. Damit versuchen wir den betroffenen Muskel wieder zu beleben. Gelingt das, erhält dieser seine Original-Funktion zurück, wie zum Beispiel das Strecken der Finger. Während der Sehnentransfer wiederum für das Schliessen und Öffnen von Finger und Daumen sorgt.

Eine Sehne kann ich mir vorstellen. Aber wie sieht ein Nerv aus?

F: Wie ein dünnes Elektrokabel.

S: Um ihn zu sehen, braucht man ein Operationsmikroskop oder eine Lupenbrille mit grosser Vergrösserung. Ob ein Nerv gelähmt ist, sieht man ihm allerdings nicht an.

Was sagen Sie Betroffenen, die sich vor solchen Eingriffen fürchten?

S: Wir verstehen, dass der zusätzliche Klinikaufenthalt und die Rehabilitation belastend sein können. Deshalb zeigen wir den Betroffenen die Möglichkeiten dieser Operation und erklären, wie sehr sich ihr Leben mit gewissen Handfertigkeiten verbessern kann. Dazu müssen sie bereits erste Erfahrungen im Alltag gesammelt haben, um besser abschätzen zu können, welche Fähigkeiten für sie wichtig sind.

F: Zudem wird in Nottwil exzellente Peer-Arbeit geleistet. Bestehen Bedenken, können wir ein Treffen mit einer Person organisieren, die den gleichen Eingriff bereits gemacht hat. Der persönliche Austausch unter den Betroffenen hilft, Fragen zu klären und von den Erfahrungen zu profitieren.

«Um weiterzukommen, braucht es ein Umfeld, das mitzieht.»

Silvia Schibli

Wie entwickelt sich die Tetrahandchirurgie weiter?

F: Ich denke, dass wir in der Diagnostik noch sehr zulegen können. Welche Nerven sind betroffen? Wie stark sind sie beschädigt? Wie können wir sie vor dem Verkümmern bewahren? Auf meiner Wunschliste steht auch eine engere Zusammenarbeit mit der Neurologie, um ungewöhnliche Anzeichen besser zu erkennen und Fehler zu vermeiden.

S: Ist das, was wir tun, richtig und gut – oder gibt es etwas Besseres? Diese Frage treibt mich jeden Tag an. Um weiterzukommen, braucht es ein Umfeld, das mitzieht. Dazu gehören nebst der Chirurgie auch Fachpersonen aus Therapie und Neurologie, da stimme ich Jan zu.

Wie viele Menschen beschäftigen sich mit diesem Fachgebiet?

F: Weltweit gibt es zehn bis fünfzehn Zentren.

S: … Und pro Standort arbeiten vielleicht zwei Tetrahandchirurgen.

F: Wir alle brennen für unsere Arbeit, die sich rund um höchst verletzbare Personen dreht. Für sie geben wir alles.

S: Das stimmt. Es braucht diese Faszination, sonst würden wir das nicht machen.

F: Ich erwache am Morgen und weiss, mein Job ist wichtig. Das macht das Aufstehen einfacher und gibt mir ein gutes Gefühl.

S: Das hat auch mit dem Wunsch zu tun, etwas zu verbessern, zu entwickeln und vorwärtszubringen.

Jan Fridén, Sie übergaben 2021 die Leitung der Hand- und Tetrahandchirurgie des SPZ an Silvia Schibli. 2024 auch die Verantwortung für den weltweit beachteten Tetrahand-Instruktionskurs.

F: Ja, ich gehe heute keiner regelmässigen Arbeit in einer Klinik mehr nach. Aber ich habe noch Forschungsprojekte und andere Sachen auf der To-do-Liste. Und ich möchte das weltweite Netzwerk weiter unterstützen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, einfach ganz abzutreten.

S: Und ich hoffe, dass mir Jan als Backup erhalten bleibt. Wir werden weiter gemeinsam Fälle diskutieren und in Kontakt bleiben.

Was schätzt Jan Fridén am meisten an Silvia Schibli?

F: Sie hat eine unglaubliche Ausstrahlung und Souveränität. Menschen schenken Silvia ihr Vertrauen und lassen sich von ihr den Arm aufschneiden – und dies nach einer schwerwiegenden Verletzung, die das ganze Leben auf den Kopf gestellt hat. Silvia hat viele, grossartige Fähigkeiten, die Kommunikation mit den Betroffenen ist dabei ganz weit vorne.

Und umgekehrt?

S: Für mich ist es ein riesiges Privileg, Jan als Mentor zu haben, der seine Erfahrung mit mir teilt. Gemeinsam im Operationssaal zu stehen ist etwas anderes, als aus einem Buch zu lernen. Jan ist grosszügig mit seinem Wissen und gibt es gern weiter. Das schätze ich enorm.

Haben Sie einen Wunsch für Ihr Fachgebiet?

S: Wir müssen nach all diesen Jahren noch immer für unsere Reputation kämpfen und uns gegen andere Fachrichtungen behaupten.

F: Die Tetrahandchirurgie gehört bis heute noch nicht selbstverständlich zur Rehabilitation dazu. Wir müssen sicherstellen, dass wir weiterhin eine integrierte Fachklinik im Rahmen der ganzheitlichen Versorgung von Rückenmarkverletzten sind. Denn mit dem Blick auf das Ganze, sehe ich, was wir wirklich tun: Dem Leben von Menschen mit einer Tetraplegie ein Stück Freiheit und Selbstständigkeit zurückzugeben.

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