
Magie der Hände
Bei Menschen mit einer Tetraplegie sind neben den Beinen auch die Arme betroffen. Dank chirurgisch hoch spezialisierten Eingriffen ist es heute möglich, Fingern und Händen gewisse Fähigkeiten zurückzugeben.
Text: Christine Zwygart
Bilder: Christof Schürpf, Adrian Baer
Arme, Hände, Finger. Sie helfen uns beim Umarmen, Ankleiden, Schreiben, Kämmen, Einschenken, Zähneputzen – wir benutzen sie den ganzen Tag. Wer all diese Fähigkeiten auf einen Schlag verliert, fühlt sich abhängig und eingeschränkt. «Hände unterstreichen die Persönlichkeit einer Person», sagt Jan Fridén. Der schwedische Professor hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Menschen mit einer Tetraplegie ein Stück Freiheit zurückzugeben – dank hoch spezialisierter Eingriffe an Sehnen, Nerven und Muskeln.
Seit den frühen 2000er-Jahren befassen sich verschiedene Fachpersonen am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) mit der Tetrahandchirurgie. Unter ihnen Simeon Grossmann, der dank internationalen Verbindungen einen Experten nach Nottwil einlädt: Jan Fridén. Er gehört zu den Pionieren dieser Operationsmethode und bringt seine Erfahrung aus der Universitätsklinik Göteborg mit in die Schweiz. Wenn er an die Anfänge zurückdenkt, kommen ihm die Operationen von damals fast trivial vor: «Wir wussten noch nicht viel über die Rehabilitation und das ganze Drumherum.»
Ab 2008 arbeitet Jan Fridén in Nottwil und leitet seit 2011 die Abteilung Hand- und Tetrahandchirurgie. Mit seinem Wissen und seinem Netzwerk baut er das SPZ zu einem der weltweit führenden Behandlungsorte für die Tetrahandchirurgie auf. Er sagt: «Ich liebe, was ich tue. Tag für Tag.» Seine Erfahrung und sein Können gibt er an Silvia Schibli weiter, die im Frühling 2021 seine Nachfolge als Chefärztin übernimmt. Viele Jahre haben die beiden Seite an Seite zusammengearbeitet, Techniken verfeinert, Methoden überdacht und damit medizinisch viel ins Rollen gebracht.
Transfer von Sehnen und Nerven
Pro Jahr werden am SPZ rund vierzig grosse Tetrahandrekonstruktionen durchgeführt. Um den Betroffenen auf die bestmögliche Weise helfen zu können, sind vorgängig intensive Abklärungen nötig, inklusive Erfahrungen im alltäglichen Leben. Früher ging es vor allem darum, Fingern und Händen eine gewisse Funktionalität zu ermöglichen. «Heute fragen wir unsere Patientinnen und Patienten konkret, welche Fähigkeiten sie zurückerlangen möchten», sagt Silvia Schibli. Entsprechend entscheidet das Team, was für Eingriffe während einer Tetrahandoperation durchgeführt werden.
«Heute fragen wir unsere Patientinnen und Patienten konkret, welche Fähigkeiten sie zurückerlangen möchten.»
Ein Buch aus dem Regal nehmen, ein Glas Wasser einschenken, einen Mantelknopf schliessen – die Wünsche sind vielfältig. «Gemeinsam mit den Betroffenen gehen wir die Wünsche durch, priorisieren und wägen ab», erklärt Jan Fridén. Mit einer Operation kann im Idealfall die Basis für vier bis fünf Fähigkeiten gelegt werden. Je nach Funktion – wie greifen und strecken, öffnen und schliessen – kommen andere Techniken zum Einsatz.
So werden etwa gesunde Sehnen und Nerven auf verletzte transferiert und übernehmen neue Aufgaben. «Damit versuchen wir, den betroffenen Muskel wieder zu beleben und ihm seine Originalfunktion zurückzugeben», erklärt Silvia Schibli. Sie kann auch einen Teil des Schultermuskels mit einer Sehne verlängern und auf jene des Trizepses umlenken. Dadurch lässt sich der Ellenbogen strecken und der Unterarm steuern.
Mehr Freiheit für die Betroffenen
Die Geschichten, die die Betroffenen wenige Monate nach einem Eingriff erzählen, sind herzerwärmend. Junge Menschen erhalten einen Teil ihrer Selbstständigkeit zurück, können sich wieder selbst anziehen und ihren Körper pflegen, die Hand zum Gruss reichen, Geld vom Bancomat abheben oder mit dem Auto zur Arbeit fahren. Bereits kleine Steigerungen des Bewegungsumfangs wie das Krümmen eines Fingers sorgen für grosse Veränderungen. «Das tut auch dem Selbstvertrauen gut», sagt Jan Fridén.
Bis die Fähigkeiten im Alltag eingesetzt werden können, braucht es Geduld. Das Gehirn muss lernen, mit den neuen Verbindungen umzugehen, die Bewegungen trainieren und neu verknüpfen. Die Rehabilitation dauert Wochen. Üben, üben, üben, bis die Abläufe frisch programmiert sind.
«Ist das, was wir tun, richtig und gut? Oder gibt es noch etwas Besseres?» Diese Frage treibt Silvia Schibli an. Sie sagt, um weiterzukommen, braucht es ein Umfeld, das mitzieht. In Nottwil gehört nebst dem dreiköpfigen chirurgischen Team auch eine umfassende Handtherapie zu ihrer Abteilung.

Jan Fridén, Pionier der Tetrahandchirurgie
«Wir alle brennen für unsere Arbeit in diesem Spezialgebiet.»
Weltweit vernetzt
Bis Ende 2024 wirkte Jan Fridén am SPZ als Senior Consultant, seine operativen Tätigkeiten hat er an seine Nachfolgerin übergeben. Dazu gehört auch der Vorsitz des Tetrahand-Kurses. Der internationale Austausch von Fachwissen ist wichtig, da sich weltweit nur sehr wenige Zentren mit diesem Spezialgebiet befassen. «Wir sind alle Nerds und brennen für unsere Arbeit», sagt Jan Fridén. Das Wissen, sich mit seiner Arbeit für höchst verletzliche Menschen einzusetzen, ihrem Alltag und ihrem Leben einen positiven Dreh zu geben, sei ein wunderbares Gefühl.
Mit dem Wunsch, das Fachgebiet vorwärtszubringen, hat sich auch Silvia Schibli mit Herz und Verstand der Tetrahandchirurgie verschrieben. Sie wünscht sich, dass der Fachbereich noch besser anerkannt wird: «Wir kämpfen noch immer für unsere Reputation.» Die Tetrahandchirurgie gehöre heute noch nicht selbstverständlich zur ganzheitlichen Rehabilitation. Jan Fridén ergänzt: «Wir müssen sicherstellen, dass wir weiterhin eine integrierte Fachklinik im Rahmen einer ganzheitlichen Versorgung von Rückenmarkverletzten sind.»
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